Im hessischen Rundfunk, rh2, dem Kultursender des Bundeslandes, in dem ich mich nun niedergelassen habe, läuteten heute Morgen die Glocken, als ich das Radio einschaltete. Na gut, es ist ja Sonntag, dachte ich und ließ es laufen.
Es folgte die evangelische Morgenfeier und die Pastorin sprach über „Stolpersteine“. Es wurde rasch klar, dass sie nicht über Steine sprach, die den Füßen im Weg liegen. Über diese ins Pflaster, den Asphalt oder Plattenweg in der gleichen Ebene eingelegten Steine soll der Kopf stolpern.
Sie bestehen aus Metall und auf ihnen sind Namen und Daten eingraviert: Die Namen von Opfern des Holocaust. Nicht, dass man auf ihnen herum trampeln soll, nein, es sind Gedenksteine, damit diese Namen nicht vergessen werden. In den Häusern, vor denen sie liegen, lebten in der Zeit um1933 Menschen jüdischer, polnischer, russischer oder anderer Herkunft, die den Herrschern des „Tausendjährigen Reiches“, das zum Glück nur 12 Jahre währte, als minderwertig galten und darum vertrieben, in Vernichtungslager deportiert oder in den Suizid getrieben wurden.
Andere Menschen haben gespendet, um dem Künstler diese Arbeiten zu ermöglichen. Nicht immer gab es Überlebende aus den genannten Familien. Es spendeten auch andere. Aber trotzdem gab es Bewohner, die der Verlegung der Steine nicht zustimmten. Dann wurden diese auf dem der Stadt gehörenden Pflaster von Straßen oder öffentlichen Plätzen verlegt, das geschah auch mit den Gedenktafeln, von deren Namensträgern ein Wohn- oder Aufenthaltsort nicht mehr oder noch nicht bekannt ist. Auch das Sterbedatum und der Ort des Sterbens muss bei einigen noch erforscht werden.
Während dieser Predigt ging ich in meine Küchenzeile frühstücken. Da fiel mir ein altbekannter Spruch ein.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“
Die Namen, die mir meine Eltern zur Taufe gaben, haben mir nie gefallen. Ich fühle mich nicht als „Speerstarke“ oder „Stab Gottes“, dieser Bedeutung sind sie. Auch die Aussprache, wie meine Mutter meinen Rufnamen artikulierte und modellierte, war nicht dazu angetan, mich ihn lieben zu lassen. Er klang hart, vorwurfsvoll meist, schimpflich – nie zärtlich oder weich und klangvoll. Ich änderte diesen Namen, indem ich nur jeweils die erste Silbe verwendete und eine Aussprache, die im Deutschen diesem Namen nicht zugeordnet wird, wohl aber im Französischen. Dadurch wurde er weich und kann nun auch zärtlich gesprochen werden, wie es ein Liebender tut.
Mit diesem Namen hat Gott nicht viel zu tun, oder? Damit hat er mich wohl nicht gerufen. Oder hat er gewollt, dass ich ihn so änderte? Vielleicht. „Gott ist die Liebe“ heißt es ja immer.
Die Pastorin ist dann auch zu dem Bibel-Zitat gekommen, das in voller Länge lautet:
„Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“
Sollte mich das nun trösten? Könnte es das? Waren die Verletzungen in der Kindheit dadurch aufgehoben?
Darauf kann nur das Kind in mir eine Antwort finden.