Sie überlegt, dass die Katzenklappe eigentlich längst schon doppelt sein sollte wegen des kommenden Winters. Noch eine bevorstehende Ausgabe. Die Ledervorrichtung mit Schiebetürchen davor hat in all den Jahren gereicht. Aber wenn man´s gemütlicher haben kann.
Nachdem der Grasteppich wieder richtig liegt, stellt sie nicht wie gewohnt das Tischchen drauf, sondern geht aus der Küche eine Stück Malerplane holen und legt es aus. Darauf stellt sie das Fahrrad auf den Ständer. Ganz schön schmutzig alles. Weiter einen Eimer mit Warmwasser füllen, Schwamm, Lappen und das Pflegeöl, das sie auch für die Nähmaschine benutzt. Sie nimmt noch das Fit mit raus. Wofür so ein Geschirrspülmittel nicht alles gut ist.
Sie reibt erst vorsichtig mit ein bisschen Küchenkrepp das Gröbste weg, dann mit dem nassen Schwamm überall. Schwer zwischen die Speichen zu kommen, aber muss sein. Mit dem Lappen alles trocken reiben: blitzt wieder. Am Gepäckträger und an den Schutzblechen die kleinen Rostflecke ölen und die Kette auch. Sie steht auf und tritt zurück. Alles super.
Sie pumpt die Reifen auf. Glücksache, das alles noch dicht ist.
Das Radel nimmt sie in die Küche, die Kater kommen mit rein, die Katzen raus in die Büsche.
Noch 40 min Zeit, also Jacke an und durch den Laden raus. Zum Glück hat die Jeans enge Hosenbeine, also keine Vorsorge nötig. Aber als sie aufsteigt kommt sie sich doch komisch vor. Bald macht sie Fahrt und ist rasch am Mühlgraben. Diesmal putzt die alte Wirtin gerade ihre Treppe.
Cheryl bittet um ein kleines Gespräch. Sie schauen sich abschätzend an, sind sich fremd.
Ich muss aber gleich auf den Markt Gemüse einkaufen.
So lange dauert es wohl nicht.
Worum geht es?
Um den Tanzsaal und die Flüchtlinge.
Hier im Nebenzimmer ist genug Platz für sie zum Essen. Sie kommen ja nicht alle auf einmal.
Ich möchte mich engagieren und helfen, die Misere mit dem Brand schnell vergessen zu machen: Schlafstätten für den kommenden Winter herrichten.
Ah! Die alte reicht ihr die abgearbeitete Hand. Mein Name ist Traub, Anna Traub.
Ich bin Cheryl Goldinger. Meine Oma überließ mir das Lädchen in der Heerstraße.
Kenn ich. Frau Goldinger ist tot? Mein Beileid. Hab ich nicht mitbekommen, aber von ihnen gehört. Sie malen Bilder. – Aber so viel Geld werden sie damit nicht verdienen. Haben sie eine Sammlung veranstaltet?
Hab ein wenig Geld und denke, dass es reicht, um zu helfen. Ein Architekt hat schon mal durch die Fenster gelugt. Groß ist der Saal ja und Toiletten sind auch da. Gibt es Schäden, die man erst beheben muss vor einer Nutzung?
Ich glaube, an einer Ecke ist das Dach leck und die Pissrinne in der Herrentoilette ist bemängelt worden von der Hygiene.
Das ist im Keller, ja? Muss also umgebaut werden. Es wird auch Duschen und so etwas geben müssen.
Aber Platz genug wäre. Ein Durchbruch zum früheren Weinkeller wär möglich, glaub ich. Den nutze ich seit dem Tod meines Mannes nicht mehr. Der Bierkeller war für meinen Umsatz immer groß genug.
Das sind gute Nachrichten, Frau Traub. Wann darf sich der Architekt denn das mal ansehen?
Also, wenn ich vom Markt zurück bin, sammeln sich meine Helfer bei mir in der Küche. Wenn er mit dem Auto kommt und draußen laut hupt, dann kriegen wir das mit. Die Bäcker und Fleischer mit ihren Spenden machen das auch so.
Sehr gut. Sie haben also im Prinzip nichts gegen eine Nutzung ihres Tanzsaales für die Flüchtlinge?
Wenn ich das nicht bezahlen soll, geht das in Ordnung. Mein Geld reicht grade für mich zum Leben, muss sehen, dass ich noch genug verdiene, für eine anständige Beerdigung. Irgendwann werd ich wohl meinem Gustav folgen.
Vielen Dank erst einmal, Frau Traub. Ich schicke den Architekten her, sobald er Zeit hat. Es eilt ja. Das Wetter kann sehr plötzlich umschlagen, Zelte sind jetzt ein übler Aufenthaltsort, besonders für Kinder.
So denke ich auch, Frau Goldinger. Ich finde es toll, dass sie sich auch um diese Menschen sorgen. Danke. Hat mich sehr gefreut, ihre Bekanntschaft zu machen. – Hier nennen mich übrigens alle Anna, ist so üblich bei der Wirtin.
Also dann auf Wiedersehen Anna. Falls sie Fragen haben, ich steh im Telefonbuch.
Jetzt aber zurück zum Laden. Cheryl muss ja öffnen, vielleicht kommt heute die Kundschaft, die sie als Malerin entdeckt.
Aber als sie während der Fahrt weiter denkt, will sie nicht berühmt werden, das wäre zu viel Stress. Sie hat sich an ihr beschauliches Leben in der Kleinstadt gewöhnt, möchte nichts ändern – außer einem Liebhaber oder Mann, aber mit getrennten Wohnungen. Auch wegen Finn möchte sie ihr Heim nicht aufgeben.
Sie schaudert innerlich ein wenig, ist das mit der gültigen christlichen Moral vereinbar? Moral hin, Moral her, was soll´s. Sie haben beide niemanden verletzt, sind frei und ungebunden. Nicht mal im alten Judentum könnte sie jemand deshalb steinigen. Sie kennt die Bibel noch ganz gut. Auch Oma Goldinger war der Meinung, dass dieses Wissen unverzichtbar sei. Ein Glaube hilft bei vielen Dingen zu leben. Klar, wenn der Geist zu umnebelt ist, um selbst Entscheidungen zu treffen, sie denkt an die Meinung von Karl Marx über die Religion und ihr Absterben.
In der heutigen Welt, wo religiöser Fanatismus wieder zur Kriegsführung missbraucht wird, scheint ihr das fast unmöglich, obwohl die Menschen in Deutschland kaum noch einen Gottesdienst besuchen. Falls sie nicht überhaupt wegen der Kirchensteuer längst ausgetreten sind. Zahle ich überhaupt welche? Ich glaube, das hat Oma noch für mich geregelt. Bin ja getauft und konfirmiert.
Cheryl ist am Laden angekommen und steigt vom Fahrrad, nestelt den Schlüssel aus der Umhängetasche und macht auf. Die Ladenklingel scheppert: Wollte sie nicht längst eine neue haben? Aber diese hier ist wie ein Vermächtnis von Omi. Bevor die nicht kaputt ist, bleibt sie dran.