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Charlenes Abschied 7

Freundschaften und anderes

Sie selbst bewahrte ihre Freundschaften in Treue über viele Jahre. Menschen, mit denen sie einmal innere Übereinstimmung fand, blieben für immer wichtig. Darum fühlte sie sich auch nie wirklich einsam. Egal wieviel Zeit auch vergehen mochte, sie wusste, es bedurfte nur eines aufeinander Zugehens, um die alte Vertrautheit wieder herzustellen, und das trotz aller räumlichen Entfernungen. An ihren Geburtsort band sie keine Freundschaft, nur familiäre Bande. Erst mit der Ablösung von der Mutter waren tiefere Beziehungen entstanden. Jetzt wurden die Verbindungen ob alt oder neu nicht nur über Post und Telefon, sondern auch über das Internet gepflegt, man konnte sich ja sogar sehen beim Telefonieren über Skype. Seit Charlene 1999 ihren ersten PC als Schreibmaschinenersatz erworben hatte, entwickelte sie damit einige Kompetenz.
Aber nun lebte sie wenigstens nicht mehr so weit von den geliebten Kindern entfernt. Wöchentlich ein Besuch war zwar nicht viel, aber solange sie sich selbst versorgen konnte und beide per Telefon rasch zu erreichen und wenn nötig binnen kurzer Zeit per Auto bei ihr waren, fand sie es richtig. Die Tochter war zur näheren Bezugsperson geworden, auf die sie nicht mehr verzichten wollte. Die hatte eine neue Arbeit angenommen und zog nun in den Taunuskreis. Dorthin würde auch sie gehen, dort hatte ihre eigene Mutter vor dem Krieg mit ihrer Herkunftsfamilie gewohnt. Dass nun Tochter und Enkelin hinkamen, war fast eine Heimkehr.
Ihre Mutter Helene heiratete nach Sachsen-Anhalt um ihrem außerehelichen Sohn Ben einen Vater zu geben. German Lange ehelichte sie nicht nur, er adoptierte sogar Ben sofort. Als nun die Heimat nach dem Krieg nur noch ein oder zwei Mal schwarz über die grüne Grenze erreichbar war, hatte Charlene die Großmutter Johanne und den Taunus erlebt, war barfüßig auf den Feldberg gewandert und hatte mit Mutters Freundin Clara den Schwarzwald erlebt. Später ersetzten Thüringen und der Harz diese Landschaften, die immer Helenes Sehnsucht blieben, bis sie Rentnerin war und wieder in den Westen reisen durfte. Aber da lebten ihre Eltern nicht mehr und die Schwestern waren ihr böse, weil sie sich mit ihrem Mann ausgesöhnt hatte, der damals, als er im Osten nicht von Tbc geheilt werden konnte, nach drüben ging und sich operieren ließ. In der Folgezeit lebte er mit einer anderen Frau zusammen, einer Witwe. Die Eltern ließen sich nie scheiden, obwohl die Mutter es damals ablehnte, ihm zu folgen mit den Kindern. Sie hatte sich ein Umfeld geschaffen, in dem sie geachtet und anerkannt war, dort blieb sie und erzog ihre Kinder allein. Die Schwestern und Freundinnen hatten regelmäßig Pakete gesandt, ohne die sie alle diese schwierige Zeit viel weniger gut überstanden hätten. Vielleicht hatten sie, um die Pakete packen zu können, auf manches verzichtet, darum verziehen sie German Lange nie. Als die Mutter mit ihm vor der Tür stand, schlugen sie ihr vor der Nase die Türe zu.
Während einer Wanderung im Taunus brach sich Helene bei einem leichten Fußumknicken den Oberschenkelhals und kam in ein Krankenhaus. Ben wurde von dort informiert und gefragt, ob er einer gründlichen Untersuchung seiner Mutter zustimme. Dabei waren dann die vielen Metastasen, die sich nach dem operierten Brustkrebs im ganzen Körper gebildet hatten, entdeckt worden. German saß im Krankenhaus an Helenes Bett, er wusste Bescheid. Als Charlene und die anderen Brüder es erfuhren, hatte sie nur noch ein Jahr zu leben. Die Saarpfalz mit ihren Wäldern und Bergen, Streuobstwiesen und weiten Feldern, wären für sie ebenso schön gewesen, wie sie es fünfundzwanzig Jahre lang für Charlene gewesen waren. Der Abschied war schwer gewesen. Sind fünfundzwanzig Jahre nicht eine Generation?
Abschied. Mutterseelenallein unterwegs. Hätte sie das alles vorher gewusst, wäre sie wohl wie Helene in Sachsen-Anhalt geblieben und hätte weiter ihr Ziel verfolgt, sich als Textilmalerin selbständig zu machen. Aber die Wende, durch die alle Gesetze der ehemaligen DDR außer Kraft gesetzt waren und in den Behörden auf neue Gesetze gewartet wurde, hatte sie an das Sozialamt verwiesen. Sie, die ihr Leben lang ihr Brot für sich und die Kinder selbst erarbeitet hatte, war wie betäubt einem fremden Wessi in dessen Welt gefolgt, in der Hoffnung, wieder Geld mit eigener Hände Arbeit zu verdienen. Sie konnte nicht begreifen, dass das Arbeitsamt dort sie in eine Fabrik ans Förderband schicken wollte, schließlich war sie Lehrerin gewesen. Nur aus gesundheitlichen Gründen wollte sie nicht mehr in einer Schule arbeiten. Fabrik war doch noch schlimmer! Dass die polnische Ärztin das ebenfalls musste, wie man ihr sagte, konnte sie absolut nicht als Tröstung empfinden. Sie war doch eine Deutsche! Aber nun Deutsche zweiter Klasse, ein Ossi. Sie bekam es überall zu spüren.
So nahm sie die ungeliebte Arbeit in der Gasthausküche des Wessis Arnd auf. Der führte sie als Hilfskraft, obwohl sie völlig selbständig arbeitete. Kochen lernte sie schon mit fünfzehn bei den Diakonissen. In der eigenen Küche beim Kochen für sich und die Kinder war sie zur Feinschmeckerin geworden. Ihrer Nase entging nichts. In der Tätigkeit entwickelte sie ihre Fähigkeiten weiter und konnte bald Vier- bis Fünf-Gänge-Menüs für vierzig Personen zubereiten, für kleinere Gruppen gar acht Gänge. Sie erhielt viel Lob, die Gäste kamen in die Küche, um mit ihr anzustoßen und die Leute kamen immer wieder. Schon ein hübsch zurechtgemachter Salat ließ den Gästen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihre Italienischen Salate waren ein Augenschmaus getreu dem Motto: Die Augen essen mit.
Doch ihr Körper war für schwere Arbeiten nicht geschaffen. Nun hatte sie die Folgen zu tragen für das Bewegen von schweren Pfannen und Töpfen. Arthrose in den Armen, zuerst operierte man sie wegen Tennisarmen, war falsche Diagnose und half natürlich nicht. Und nun noch die schwerere Erkrankung, wegen der das Zerwürfnis mit Arnd seinen Höhepunkt erreicht hatte. Charlene legte jetzt die Füße auf den Sitz gegenüber, es war genügend Platz im Zug.
Wahrhaftig, menschlich und kritisch – das war jetzt ihr Kredo. Wenn schon der Sozialismus als Fehlschlag gilt, so hat es doch andere Deutsche geformt, dachte sie. Bessere? Das Volk auf dem Boden der DDR hatte sich auf das Lesen verstanden. Wer liest, versteht mehr von der Welt, wenn auch zuerst die Weltläufigkeit aus Mangel an Anschauung gering war. Irgendwo musste sich dann jeder beweisen, was oft schwer fiel, oft immer noch schwer ist. Die jungen Leute werden die Zukunft ändern, hofft sie, Kritik üben an den Unzulänglichkeiten wie gewohnt und zupacken. Die wollen ihr Leben nicht im „Knast der Arbeit“ verbringen, sondern in Übereinstimmung mit ihren Emotionen und Bedürfnissen schöpferisch im Team schaffen. Kooperation ist vielen wichtiger als Wettbewerb und gute Posten, das Familienleben, Urlaub und Reisen kann man nur genießen, meinen sie, wenn der Alltagsstress sie nicht vorher krank macht. Sie mögen keine Chefs, die ihnen die Arbeit aus mehreren, nicht mehr bezahlbaren Stellen aufhalsen, ohne selbst in der Lage zu sein, ihre Mitarbeiter zu loben und zu motivieren, weil sie hektisch und ohne Gesamtüberblick von einem Teilbetrieb zum anderen jagen. Eine Vorgesetzte oder ein Vorgesetzter muss ihnen klare Ansagen vermitteln, das Mitdenken nicht nur erlauben, sondern auch schätzen.
Gerade darin ist die junge Generation streitbar. Sie unterstützen mit Vehemenz die Streiks aus den anderen Berufen mit entropischer Arbeit, weil die immer noch zu niedrig bezahlt werden. Köchinnen, Serviererinnen, Kindergärtner, Pfleger, Sozialarbeiter aus den verschiedenen Gewerben und Dienstleister, die reparieren, warten, putzen und die Wirtschaft in der Produktion mit ihrer Arbeit zyklischer Natur am Laufen halten, ohne dass eine dauernde Wirkung und Sichtbarkeit erfolgt, weil sie leicht wieder zu Nichte wird und zurück in Unordnung gerät. Man kann Straßen mit Maschinen kehren, Rasen mit Mäher schneiden, Bäume und Hecken mit Elektrowerkzeug kürzen und formen, Bäche und Flüsse ausbaggern und Autobahnen neu teeren, aber die Menschen, die das tun, brauchen oft jahrelange Ausbildung, ohne dass sich dies später im Lohn widerspiegelt.
Charlene hatte in vielen verschiedenen Berufen ihre Erfahrungen gesammelt. In der ehemaligen DDR konnte eine Maschinistin, die landwirtschaftliche Geräte in den LPG reparierte, gutes Geld verdienen wie die Männer. Aber im Westen scheuten sich die Werkleiter, weibliche Schlosser, Elektriker und Mechanisten einzustellen, obwohl sie die geringer bezahlten, weil sie dann extra Sanitäranlagen zur Verfügung stellen mussten. Das sei zu teuer.
Charlene glaubte, dass bald Betriebe entstehen würden, die ganz auf Frauen setzten, weil die zuverlässig, genau und mindestens ebenso effektiv wie Männer arbeiteten, oft sogar besser. Sie selbst würde, so hatte sie sich vorgenommen, wenn der erneute Umzug realisiert war, noch einmal arbeiten. Das, was sie zu beherrschen glaubte, war die deutsche Sprache. Also würde sie ausländische Mütter unterrichten wollen, während deren Kinder in der Schule oder im Kindergarten und Hort lernten. dann würden sie ihren Töchtern und Söhnen besser bei den Hausaufgaben helfen können, deren Aussprache kontrollieren und nicht mehr so hilflos sein beim Einkaufen. Gleichzeitig könnten diese Frauen sich untereinander helfen, Kochrezepte und Erfahrungen austauschen und sich in diesem bisher fremden Sprachraum heimisch machen. Ach, sie hatte schon Pläne im Kopf, wie sie das anfangen würde. Langweilig konnte das mit all ihren Ideen für niemanden werden. Lene fühlte sich sozial kompetent, schließlich hatte sie selbst Kinder großgezogen, eine Lehrerausbildung in der DDR gehabt und ein Literaturstudium absolviert. Nur die eigene Gesundheit müsste noch eine Weile mitspielen. Dann wäre sie selbst unter Menschen und in den Strom der Zeit eingebunden. Was gäbe es Schöneres?
Am nächsten Bahnhof musste Lene umsteigen. Darum erschrak sie bei der Durchsage, dass ihr Zug fünfundzwanzig Minuten Verspätung haben würde, weil sie jetzt halten und einen schnelleren Zug durchlassen mussten. Über die zehn Minuten bisher hatte sie sich weiter nicht gegrämt, denn die hätten noch aufgeholt werden können. Aber ihr Aufenthalt betrug nur 45 Minuten bis zur Abfahrt des Anschlusszuges. Nun wurde das eventuell prekär, wenn der andere nicht auf diesen wartete.
Sie holte ihre Brille und das winzige Handy heraus und wählte die Bahnauskunft. Wenn der Anschlusszug nicht warten würde, erfuhr sie, konnte sie erst 1 ½ Stunden später oder in einem langsameren Zug weiterfahren. Mein Gott, dachte sie, was nützt alle Planung, wenn die Bahn unpünktlich fuhr. Dabei war die Eisenbahn mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben und damit viel umweltfreundlicher als die konkurrierenden Fernbusse, die im Übergang zum Solarzeitalter hoffnungslos veraltet waren mit ihrem Benzin oder Diesel aus Erdöl. Dafür wollten die sogar Frecking erlauben wollen, diese Umweltzerstörung in Höchstpotenz. Der Biodiesel ist auch nicht das Gelbe vom Ei, denn da werden wieder arme Länder ausgebeutet, die statt Nahrung für ihre Bevölkerung anzubauen, für die reichen Länder Raps, Lein oder Sonnenblumen anbauen. Dabei sterben täglich in der Welt Menschenkinder aus Hunger. Dauernd begegnet man diesen Versuchungen, zu Sachen zu greifen, die man doch ablehnt. Der Sänger scheint recht zu behalten: Das Böse ist immer und überall.

Charlenes Abschied 5

Zum Lehrerstudium

Dreißig Jahre hatte Charlene um dieses Kind geweint, als sie längst ihre beiden anderen schon hatte und über sie glücklich war mit ihrem damaligen Mann.
Da für beide, Mutter und Charlene, dieses Ereignis zu plötzlich kam, wussten sie sich nicht zu verhalten. Mutter rannte zum Pfarrer wegen der Beerdigung, der hatte die Eltern zwar getraut und alle drei Langekinder getauft, aber dieses nicht. Charlene war zornig auf Gott, sie wollte das alles nicht, bat die Mutter, dass der Pfarrer nicht im Talar auf den Friedhof kommen solle. Dem Kind im Sarg löste sie die gefalteten Hände und steckte Blumen hinein. Der Pfarrer stand dann im wehenden Talar im Schneegestöber und behauptete, Gott hätte ihnen das Kind genommen, weil sie es nicht hatten taufen lassen. Da keiner den Beerdigungstermin wusste, unbeholfen wie sie waren, hatten sie es versäumt, Bescheid zu sagen, predigte der vor fünf Menschen. Sicher hatte er sich das anders vorgestellt. Aber seitdem mied Charlene alle Kirchen.
Als sie nach der Beerdigung nach Hause kamen, lag der ganze Hausflur voller Kränze und Blumen. Ergebnis des Mitgefühls der Hausbewohner und Nachbarn, die das Blauäuglein gemocht hatten. Auch von fremden Menschen aus der Nachbarschaft wurde sie mitleidig angesprochen. Eine Frau hatte erst kurz vorher ihr Kind durch plötzlichen Kindstod verloren und wollte sie umarmen, aber Charlene ließ so etwas nicht zu. Sie war zuerst wie erstorben gefühlsmäßig.
Damals ließ Charlene ein hübsches hellgraues Kostüm schwarz färben und ging in Trauer. Ihre Vertretung in der Telefonzentrale konnte nicht tippen, ihren rechten Daumen und Zeigefinger verlor sie an eine Maschine in der Produktionshalle unten, saß hier auf einem Schonplatz. Aber ohne zu tippen konnte sie auch diese komische Lochmaschine nicht bedienen, die in der Zentrale stand. Man gab den Text per Hand über die Tastatur ein, die Maschine stanzte einen Streifen, den man dann ganz schnell an einen Empfänger senden konnte. Das fehlte den Ingenieuren bei der Arbeit, besonders der Absatzabteilung. Vielleicht hatte der Personalchef sie darum so entbehrt.
Als sie wieder dort saß, fand sie einiges verändert. Man hatte dieses Ende des Treppenhauses, in dem sich die Telefonzentrale befand, inzwischen mit einer Glaswand abgetrennt. Es zog nun dort nicht mehr, die kleine Luke wie bei einem Pförtner blieb geschlossen, wenn keiner etwas von ihr wollte. So vermied man den direkten Kontakt und war weniger ansteckungsgefährdet als vorher beim Verkauf der Essenmarken. Die Vermittlungsaufträge gaben alle per Telefon. Da waren nun auch weniger Nebengeräusche zu hören.
Trotzdem wollte Charlene dort nicht alt werden. Wieder bewarb sie sich an einem Lehrerbildungsinstitut. Um bessere Chancen zu haben, dort angenommen zu werden, benötigte sie eine Delegierung aus dem Betrieb. Die wollte der Personalchef natürlich nicht geben, aber Charlene hatte einen Besuch von einem früheren Spielkameraden, dessen Eltern immer noch neben Mutter unter dem Dach wohnten, der ihr einen Rat gab. Sie könne von der Jugendorganisation eine solche Delegierung bekommen. Nur leider war Charlene schon mit elf wieder aus den Jungen Pionieren ausgetreten, weil sie den kleinen Bruder nicht mehr zu den Gruppennachmittagen mitbringen durfte. So war sie nicht wie die anderen automatisch in die FDJ übernommen worden.
Der FDJ-Sekretär des Betriebes mochte sie und nahm sie nicht nur als neues Mitglied auf, sondern schrieb ihr auch eine Delegierung zum Studium. Als sie das Bewerbungsfoto machen ließ, traf sie eine Mitschülerin von ihrer früheren Fotofachklasse und deren Chefin bot ihr den Job an, in dem sie sich zur Fotografin weiterbilden konnte. Also schied sie schneller als gedacht aus der Maschinenfabrik aus. Das Institut hatte ihr für das anlaufende Studienjahr abgeschrieben, also nahm sie die Stelle bei der Fotografenmeisterin an. Die schickte sie auf Architektur-Außenaufnahmen, was auf Anhieb klappte. Aber dann sollte sie mit einer völlig fremden Kamera eine Hochzeit fotografieren und das ging schief.
Entnervt arbeitete sie in der Negativentwicklung, als plötzlich das Lehrerbildungsinstitut telegrafierte, sie solle sich in der nächsten Woche im Immatrikulationslager melden. Es war jemand zurückgetreten. Sie erbat sich von der Meisterin drei Tage Bedenkzeit und griff dann zu. Gern dachte sie an das Lager zurück. Als Ergebnis hatte sie während der Immatrikulationsfeier vor dreihundert Leuten die Antrittsrede für ihr Studienjahr zu halten. Alle waren zufrieden, die Stimmbildnerin des Instituts erließ ihr sofort die Stimmbildung, weil sie das ja könne. Schon nach dem halben Studienjahr erhielt sie Leistungsstipendium. Das Wohnen im Internat war preiswert. Mittagessen war auch sicher. Aber da wohnte dann wieder ein Kerl, ein Kommilitone mit blondem Haar und blauen Augen, wieder fiel sie darauf rein.

Charlenes Abschied 4

Fort aus Dessau

In der Heimatstadt konnte sie damals keine Stelle in ihrem Beruf bekommen, sie verdingte sich als Arbeiterin in einer Großwäscherei. Der Chef dort wollte sie zur Dechateurin ausbilden, aber sie mochte nicht noch mehr Chemie so als Fleckenreinigerin. Sie bewarb sich als Saisonkraft in eine Drogerie mit Fotoabteilung in einem Ostseebad. Per Flugzeug gelangte sie dorthin, der Sohn des neuen Chefs holte sie mit einem klapperigen Auto vom Flugplatz ab. In seinem Zimmer schlafend verbrachte sie dann die Saison, während er auf dem Dachboden auf einer Luftmatratze schlief.
An die See hatte sie sich schon lange gewünscht und sie wollte einen großen, blonden Kapitän kennenlernen. Aber als sie wusste, wen, war sie dem zu klein. Mit dem großen Bruder gemeinsam hatten sie zu Hause immer die Seemannslieder gesungen. Am liebsten das vom Kapitän, der immer lächeln, die Fahne nicht im Sturm untergehen lassen sollte und sogar im Kampf mit einem Hai siegte. Charlene hatte viele Bewerber, wenn sie mit den Kolleginnen zum Tanz ausging. Mit dem Sohn des Dorfarztes hatte sie sich dann eingelassen, wohnte im Arzthaus im Stübchen über der Haustür, bis sie in einer alten Pension, die als Kinderkrippe diente, von der Gemeinde ein Zimmer bekam. Da arbeitete sie als Pflegerin im Feierabendheim.
Dem Arztpapa reichten ihre Kenntnisse aus den zwei, fast drei Jahren bei den Diakonissen für diesen Job. Und sie liebte ihre alten Leute und diesen Dienst, bis sich einer von den alten Herren mit seinem Rasiermesser die Kehle durchschnitt. Das war furchtbar. Er hatte Asthma und fühlte sich in diesem Haus nicht wohl, vermisste seine kürzlich verstorbene Ehefrau so sehr. Einer seiner Zimmerkollegen, sie waren zu fünft im Zimmer, war so bösartig, als er nicht in ein Krankenhaus überwiesen wurde, weil man ihm da auch nur hätte Asthmaspray verabreichen können, zu bemerken, wer wüsste denn, wie lange er sich hier noch herumquälen müsste mit dieser Atemnot. Charlene hatte diesem Kerl zwar vor der Tür ins Gewissen geredet, aber als sie eine Stunde später von der Arbeit im zweiten Stock herunterkam, hatte der Barbier sein scharfes Rasiermesse schon durch seine Kehle gezogen und alles war zu spät.
Danach bewarb sie sich das erste Mal an einem Lehrerbildungsinstitut, denn sie wollte nicht bei den Sterbenden ihr Leben verbringen, lieber mit Kindern zu tun haben. Ihr Freund, der Vollmatrose und Arztsohn, wusste davon nichts. Sie musste ja auch die Bewerbung zurückziehen, weil bald ein Kind unterwegs war. Das war eigentlich geplant, der Seemann wollte gleich heiraten. Die Ringe waren schon bestellt. Aber irgendwann kapierte Lene, dass dies Kind nicht von ihm war, sondern von dem schönen, großen, blonden Kerl, der im Altenheim die Malerarbeiten erledigte und ihr immer heftiges Herzklopfen verursacht hatte, wenn er ihr einfach in den Weg trat und sie zu ihm aufsehen musste. Er erzählte dann, dass seine Frau als Parteigenossin durchgesetzt habe, dass er zur Strafe, weil er im Theater als Theatermaler zu viel mit Mädchen herumgemacht hatte, als Anstreicher bei seinem Schwager arbeiten müsste, wie andere Unliebsame in die Produktion geschickt wurden. Der war einfach nachts auf das Flachdach vor ihrem Fenster gestiegen und hatte sich Zutritt verschafft. Ihr Widerstand war schnell gebrochen. Die Reue nach der Liebe kam zu spät.
Da rauf war ihr erster Suizidversuch gefolgt, Schwangerschaftsdepression würde sie heute meinen. Die ständige Einsamkeit in dem Kaff, wenn der Matrose auf großer Fahrt war, hatte sie zu Fall gebracht. Also trug sie das Kind ohne Vater aus und kehrte damit zu ihrer Mutter zurück. Der große Bruder hatte ein Wort bei der eingelegt, dass sie das Zimmer mit Zugang vom Hausflur mit ihrem Kind bewohnen durfte. Um nichts in der Welt hätte sie jemandem ein Kind unterschieben wollen, das nicht das seine war.
Und wieviel Freude sie dann an diesem Kind gehabt hatten Mutter und sie. Diese wunderschönen, strahlend blauen Augen – die anderen Mieter im Haus nannten dieses Baby immer Blauäuglein. Freilich war auch diese Zeit nicht nur glücklich. Sie hatte in einem VEB Arbeit als Telefonistin und Schreibkraft gefunden, sich freche Anrufe von dort tätigen Mädchen und jungen Frauen gefallen lassen müssen – auch in der DDR war ein außereheliches Kind noch eine Schande – und sich schließlich durch das Händegeben der Arbeiter, wenn sie das Essengeld für die Kantine bei ihr bezahlten, eine Gelbsucht zugezogen. Die Mutter brach sich da gerade das Handgelenk im Urlaub und konnte nicht sofort für den Buben sorgen. Also blieb Charlene noch zu Hause, bis das geschient war. Nach der Zeit im Krankenhaus spielte der Chef vom Personalbüro dauernd verrückt und mahnte sie bei den Ärzten an, als sei sie eine Arbeitsbummelantin. Darum war dann auch das große Unglück geschehen. Charlene sah es heute noch vor sich.
Bruder German brachte Weihnachten seine Verlobte mit nach Hause, eine Lehrerstudentin. Um den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer aufstellen zu können, wurde das Laufställchen von Lenes Söhnchen Jörg fortgeräumt. An besagtem Morgen zwischen Weihnachten und Neujahr, als sie zum Beratungsarzt bestellt war, badete sie ihr Baby früh und stellte es in das ausgeräumte Gitterbettchen, gab ihm etwas Spielzeug hinein und versprach ihm, schnell zurückzukommen und dann mit ihm zu den Gagag-Entchen am Teich zu spazieren. Er konnte mit seinen fast dreizehn Monaten schon Gagag-E-e sagen. Die angehende Schwägerin war siebzehn und beschäftigte sich in der Küche mit Kartoffeln schälen, die Türen zum Wohnzimmer und zum Zimmer des Kindes waren alle offen, sie sollte ein wenig achtgeben.
Im Treppenhaus traf sie ihre Brüder German und Gernot an, die für die Mutter Kohlen aus dem Keller in die Kammer auf halber Treppe schafften, damit die Mutter sie nicht vier Treppen hoch zu schleppen brauchte. Auch denen legte sie nochmal ans Herz, nach ihrem Kind zu sehen inzwischen. Dann eilte sie durch die Parkanlagen zum Arzt. Sie saß für ihr Dafürhalten noch nicht lange, als der Doktor aus der Tür sah, sie aufrief und ihr sagte, sie solle sofort in die Poliklinik gehen. Nachdem er sich schon wieder entfernt hatte, steckte er noch einmal den Kopf aus dem Türspalt um zu sagen, dass sie nicht wieder herzukommen brauche.
Sie wunderte sich sehr und überlegte, was das denn zu bedeuten habe. Wurde sie in der Poliklinik statt hier untersucht? Es erschien ihr zuerst möglich, aber dann erfasste sie heftige Angst. War etwas passiert? Etwas mit dem Kind? Sie jagte nach Hause, die vier Treppen hinauf, was ihr nach der Gelbsucht immer noch schwer fiel. Sie riss die Tür zu ihrem Zimmer auf: Das Kinderbett war leer, überall sah sie schwarze Spuren. Als Gernot kam und fragte, ob sie schon in der Poliklinik gewesen sei, schrie sie ihn an, ob er mit Feuerwerkskörpern rumgeknallt hätte. Er verneinte, er habe nichts gemacht. Gernot war etwa so alt wie Germans Verlobte damals, siebzehn. Das Schwarze war Kohlendreck von Germans Händen.
Sie raste hinüber auf die andere Straßenseite und lief in der Poliklinik die Treppen hoch, weil sie neulich erst dort gewesen war. Jemand unten rief ihren Namen und führte sie in ein Zimmer. Da sah sie das Kind auf einer Liege, überall mit kleinen dunklen Flecken übersät, daneben saß ihre Kinderärztin, die ihr neulich erst gesagt hatte, dass sie ihr in Kinderpflege eine Eins gebe, als Jörg schon nach drei Tagen zu Hause wieder gesund gewesen war, nachdem er mit Erkältung nicht in die Kinderkrippe hatte gehen können. Charlene kniete vor der Liege und streichelte ihr Kind, es war noch warm. Die Ärztin erklärte ihr, dass Jörg sich mit der Trommelschnur um den Hals das Blut zum Gehirn abgestellt hatte, als er sie sich umgehängt und nach draußen geworfen hätte, da war sie wohl quer zu den Gittern hängen geblieben und er von der Matratze abgerutscht und dadurch stranguliert worden. Charlene war außer sich, wieder glaubte sie, dass ihr Bruder durch Silvesterknaller die Flecken verursacht hätte. Nein, das sei gestautes Blut, erklärte die Ärztin. Es war furchtbar, unfassbar, unerträglich.
Nach einer Weile erbot sich ihre Stimme, die Großmutter anzurufen. Sie stimmte ohne Worte zu. Die Kinderärztin kannte ja die Familie seit vielen Jahren, sie wohnte im Nachbarhaus und alle Kinder waren bei ihr Patienten gewesen. Sie fasste Charlene am Arm und half ihr aufzustehen, streichelte ihr über den Kopf, denn sie war viel höher gewachsen als Lene. Wie lange sie da gekniet hatte, wusste sie später nicht zu sagen. Sie wurde aus dem Zimmer geführt, draußen saßen weinend German und seine Verlobte Gundel und sie gingen gemeinsam hinüber nach Hause. Das Mädchen wollte sofort abreisen, aber die Kriminalpolizei verlangte, dass sie sich zur Verfügung halten müssten.
Auch Charlene wurde zur Polizei bestellt. Weil das Kind außerehelich geboren war, äußerten sie die schlimmsten Vermutungen, obwohl alle Zeugen ausgesagt hatten, dass es geliebt wurde. Da sie alle, Gundel wie auch ihre Brüder gebeten hatte, aufzupassen, konnte man ihr keinen Strick drehen wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht. Aber sie fühlte sich schuldig. Warum hatte sie das Baby nicht einfach in den Kinderwagen gesetzt und mitgenommen? Vielleicht hätte sie ja damit die Wartezeit beim Arzt verkürzen können? Heute trugen die Mütter ihre Kinder im Tragetuch auf der Hüfte oder vor dem Bauch, was damals noch nicht üblich war.

Charlenes Abschied 3

Lenes Mutter strickte viel. Sie konnte herrliche Muster aus Vorlagen nachstricken und saß manchmal bis in die Nacht darüber. Immer wurde sie in hübsche Stricksachen gekleidet. Alte Sachen wurden aufgedröselt und vom zweiten Mann ihrer Großmutter, einem Witwer mit nur noch einem Bein und einem Glasauge, so fest auf Knäule gewickelt, dass sie glattgezogen wurden und man nach dem Verarbeiten das Ribbelgarn nicht mehr von neuer Wolle unterscheiden konnte.
Als Charlene mit vierzehn ins Internat kam, liehen die anderen Mädchen sich schöne Pullover von ihr aus,  um zum Fotografen zu gehen. Selbst brachte sie das Stricken nie zu ähnlicher Perfektion, weil die Zählerei ihr nicht lag, sie konnte sich schlecht darauf konzentrieren. Dafür entdeckte sie schon in der siebten Klasse, dass sie Vaters Zeichentalent geerbt hatte. Eine bewunderte Sitznachbarin wurde von ihr auf kariertem Papier porträtiert und war gut gelungen. Sie konnte auch gut mit der Schere umgehen. Mit fünfzehn hatte sie dann einen ganzen Lampenschirm mit schwarzen Scherenschnitten aus eigenen Entwürfen für den Geburtstag der Oberin im Mutterhaus der Cracauer Diakonissen gestalten dürfen. In der Zeit setzte die leitende Lehrschwester sie schon zu solchen künstlerischen Arbeiten ein, statt sie Fenster putzen oder Toiletten scheuern zu lassen, wie das in ihrem Kurs üblich war. Auch beim Sticken von Kissen war sie der Lehrschwester zu langsam, obwohl Lene das ganz gern und mit Eifer tat.
Charlene schaute noch einmal am Haus hoch zu den Fenstern im Giebel, dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem jüngsten Bruder, um ihre Reisetasche abzuholen. Über die Bachbrücke konnten jetzt keine Autos mehr in die Bachstraße abbiegen, sie mussten ein Stück weiter in die Geschwister-Scholl-Straße fahren, dann links und dann noch einmal links und rechts einbiegen. Aber laufen durfte man noch über diese Brücke, unter der der Bach nach wie vor durch zwei Röhren fließt. Durch diese von einer Seite zur anderen zu kriechen, hatte immer als Mutprobe unter den Kindern gegolten. Leni hatte sich einige Blutegel von den nackten Beinen abmachen müssen, als sie drüben angekommen war. Barfuß im Bach zu stehen oder zu gehen war trotzdem im Sommer eine Wohltat an Kühle. Es schwammen auch immer Äpfel drin und kleine Fische, sogar Kaulquappen zu gewisser Zeit. Die Kinder liebten den Bach. Wasser ist anziehend.
An jeder Ecke Erinnerungen. Sie wusste, dass sie viel zu weit weg lebte, um später noch einmal in diese ihre Heimatstadt zu fahren. Es war ein Abschied für immer. Mit über siebzig fällt das schon gewissermaßen schwer, aber mit der vor zwei Jahren festgestellten Erkrankung würde sich auch die frühere Fitness nie wieder einstellen. Sie war froh, noch einmal hier gewesen zu sein. Bewusst Abschied zu nehmen schien ihr wichtig. Viele Abschiede hatte sie im Laufe des Lebens durchstehen müssen, nicht alle waren so durchdacht wie dieser.
Der Bruder war im Keller werkeln, so umarmte sie oben die Schwägerin und rief einen Gruß durch die Kellertür, denn sie scheute sich davor, die Stufen wieder hinaufgehen zu müssen. Oft stieß sie sich dabei schmerzhaft die Zehen an, weil die Achillessehnen nicht mehr richtig reagierten.
Aber der Bruder kam rasch herauf, ob er sie denn nicht zum Bahnhof fahren solle, er würde sich nur die Hände waschen gehen. Das nahm sie gern an.
Als Charlene im Zug saß und die bekannten Landschaften an ihr vorbeiflogen, erinnerte sie sich an vieles. Sonntagsausflüge per Fahrrad mit den Eltern in die Dübener Heide, Pilze oder Blaubeeren sammeln, schwimmen im Waldsee. Besuche im Wörlitzer Park mit all seinen Naturwundern, Brücken und Sichtachsen, Inseln und fremdem Baumbestand. Fahren mit der Wörlitzer Bahn bis Dessau, in die dortigen Parkanlagen mit Teehäuschen gehen und auf einem alten Friedhof mit großen Bäumen wandeln.
Mit den eigenen Kindern und deren Vater hatten sie ebenfalls Wörlitz besucht, da war Lenes Mutter noch dabei. Es gibt ein Foto, wo alle neben dem Auto im Gras sitzen und Kartoffelsalat essen. Dabei erzählte Mutti von einem Ausflug mit dem ältesten Bruder zum Ähren lesen nach dem Krieg. Sie hatte auch Kartoffelsalat mitgenommen und Kaffee. Der immer hungrige Ben war heimlich über das Essen hergefallen und als er merkte, dass es plötzlich so wenig aussah, hatte er kurzerhand Kaffee rein gekippt.
Hunger, ja, den kannten sie noch. Obwohl sie selbst immer eine schlechte Esserin gewesen sein soll damals. Vor Wut hatte die Mutter ihr einmal die Kartoffelsuppe über den Kopf geschüttet. Auf der Straße wurde sie gefragt, ob sie ihrer Tochter nichts zu essen gebe, weil die so dünn war, und sie schämte sich dafür. Einmal, als sie die Mutter beim Brote machen beobachtete, wie diese ein Stück Käse in den Mund steckte, wollte sie auch davon. Aber das Käsebrot wies sie mit der Bemerkung zurück, dass sie doch Käse ohne Brot gewollt hätte.
Hier im Osten hatte sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren eine ganze Menge geändert, nicht alles war gut, fand sie. Aber Deutschland als Ganzheit gefiel ihr in den heutigen Grenzen. Wir in der DDR haben die Oder-Neiße-Grenze rechtzeitig respektieren gelernt. Gebietsansprüche an die Länder des Ostens lehnte sie als Großmachtgetue ab. Der eigene Sohn pflegte manchmal Bemerkungen zu machen, dass sie sich an den Kopf fassen musste. Die historischen Karten hatten es ihm angetan. Nach all den Geschehnissen im zweiten Weltkrieg konnte man nur froh sein, wenn Polen und Russen das wiedervereinte Deutschland nicht als Bedrohung empfanden.
Obwohl, dieses Wirtschaftssystem die Gesamtheit der Menschen hier sehr entzweite. Die berühmte Schere zwischen arm und reich, sie bekam sie selbst zu spüren jetzt im Alter. Die Rente wollte und wollte nicht reichen. Sie fühlte sich solidarisch mit den griechischen Rentnern, deren Rente gekürzt werden sollte. Wie konnten Deutsche so etwas verlangen? (Die alten Sprüche vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen solle, waren wieder aufgetaucht.) Frau Merkel, das Pfarrerskind, war einfach zu spät geboren, sonst würde sie anders handeln und nicht die allmächtigen Konzerne für Pharma- und Rüstungsindustrie unterstützen, die doch schon genug an den Griechen verdient haben. Jetzt wird gemunkelt, dass es allen südlichen Ländern besser ginge, wenn Deutschland aus dem Euroverbund ausscheiden würde, jedenfalls käme keiner zu Schaden. Das hat nun diese Regierung davon, dass sie so unerbittlich kämpft!
Der Zug war gerade über Dessau hinaus. Dort hatte sie mal länger als drei Jahre gelebt. Zuerst bei den Eltern einer Freundin im schrägen Stübchen im Pfarrhaus, das nicht beheizbar war, später zur Untermiete bei einer Diakonisse. Das Zimmer hatte da wenigstens einen Kachelofen und auf einer elektrischen Kochplatte konnte sie Wasser für Kaffee und Tee kochen. Manchmal war trocken Brot in Zucker und Tee gebrockt das ganze Frühstück oder Abendbrot. Mit dem wenigen Lehrlingsentgeld allein auszukommen – schwierig. Mutter schickte ihr monatlich 20 Mark. Aber schon Butter allein war teuer für sie. Charlene lernte im Fotofachgeschäft, wollte Fotografin werden. Nicht so sehr aus eigenem Antrieb, es hatte sich so ergeben, weil der befragte Goldschmied keinen weiblichen Lehrling annehmen wollte, da die ja doch wegheiraten später.
Charlene hätte lieber mit ihren Händen etwas gestalten wollen, als in Dunkelkammern in Chemie zu wühlen. Damals musste man das noch, obwohl der Obermeister ihnen schon erzählte, dass diese Arbeit bald von Maschinen verrichtet werden würde in hellen Räumen. Von Digitalfotografie konnte er noch nichts ahnen. Und wie schon vorher bei den Diakonissen, als sie Paramentikerin werden wollte, Wolle spinnen, Paramente entwerfen und weben, Altartücher sticken und die Kirche schmücken, wo dann eine Pfarrerstochter mit Abitur ihr vorgezogen wurde und die Meisterin sie mobbte, dass sie von allein fortging, so hatte sie auch hier Pech. Plötzlich durften Lehrlinge ohne 10. Klasseabschluss per Gesetz nicht mehr Fotografen werden, nur noch Fotolaboranten und dann per Weiterbildung vorwärts. Sicher hätte sie das gemacht, aber dann ist sie kurz nach der Facharbeiterprüfung aus Liebeskummer aus der PGH ausgetreten und zur Mutter zurück geflüchtet.

Charlenes Abschied 2

Berühmte Abschiedszeilen meldeten sich aus den Gedächtnistiefen: Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften, ihr traulich stillen Täler, lebet wohl. Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln. Johanna sagt auf ewig lebe wohl.

Charlene verließ die Parkbank und ging an der Poliklinik vorbei noch einmal zu dem großen Backsteinhaus, in dem sie unter dem Dach geboren und aufgewachsen war. Heute standen die Wohnungen dort oben leer, keine gefüllten Blumenkästen schmückten mehr die Giebelfenster, wie damals. Oft hatte sie den Auftrag bekommen, die abgeblühten Teile daraus zu entfernen. Dann klebten die Finger und sie hatte den starken Geruch der Petunien an den Händen, einen unvergesslichen Geruch, nicht unangenehm, eben einzigartig. Doch ihrem sechs Jahre jüngeren Bruder blieb der Geruch nicht im Gedächtnis haften, er erinnerte sich nur an diese Blumen, weil er sie als Fallschirme nach unten fallen ließ.
Charlene hatte einmal einer Puppe aus der Puppenstube, die sie in ein selbst gebasteltes Glashaus im Blumenkasten gesetzt hatte, aus einer Petunienblüte mit gewelltem Rand einen Rock gemacht, indem sie das schmale Ende abschnitt. Der Boden dieses Hauses war ein Spiegel auf einer Pappe, unter der eine kleine Batterie verborgen war und wenn sie die Puppe darauf setzte, bekam eine kleine Glühlampe Kontakt und leuchtete zwischen den Blumen auf. Lene konnte sich stundenlang allein mit so etwas beschäftigen, wie alt sie da gewesen sein mochte, wusste sie nicht.
Aber schon mit neun Jahren erwischte die Mutter sie an der verbotenen Nähmaschine, wo sie winzige Puppenkleider nähte. Das war ja noch keine elektrische, man musste mit den Füßen auf die verschnörkelte Metallgussplatte treten, um dem Räderwerk Schwung zu verleihen um die Nadel zu bewegen. Sie hatte der Mutter oft beim Nähen zugesehen und die staunte nun nicht schlecht, dass die Tochter es zuwege brachte. Zwar schimpfte sie nun nicht, aber Ermahnungen erfolgten selbstverständlich, nicht nur, weil die Nadel leicht hätte abbrechen können, sondern auch, weil etwas dabei hätte passieren können.
Charlene lächelte innerlich, als sie an die erste Schwägerin dachte, die junge Frau, die der ältere Bruder geheiratet hatte. Dieser war das Malheur passiert, sich beim Nähen und Nachschieben des Stoffes die Nadel durch den Finger zu jagen. Vor Schreck blieb sie so sitzen, bis ihr Mann nach Hause kam und wagte nicht, sich selbst zu helfen. Das war ihr selbst nicht mal als Kind passiert, aber dafür war sie auch so konzentriert und vertieft gewesen, dass sie die Mutter nicht hatte kommen hören.
Das Kind Charlene liebte Steine. Immer wieder bückte sie sich und die schönsten sammelte sie in einem alten Nähkasten, den man so nach außen verschieben konnte, dass drei Etagen einsehbar waren, sortiert nach Größen und Farben. Bis die Mutter in einem Wutanfall beim Aufräumen die ganze Sammlung in den ummauerten Aschebehälter, die sogenannte Aschenkute für das ganze Haus, entsorgte. Lene kroch durch die Luke hinein, aber da Steine schwerer sind als Asche, war eine Rettung unmöglich. Sie hatte bitterlich geweint und es ihrer Mutter lange nicht verzeihen können.
Jetzt stieg sie die fünf Stufen zum Eingangsportal hinauf und schaute oben über die Mauer. Die Aschenkute war abgerissen und es standen nur wie überall die Plastikaschekübel mit den Namen der Mieter dort. Allerdings waren hier noch keine Vorhängeschlösser dran, wie sie es vor anderen Mietshäusern gesehen hatte. Ja, heutzutage war die Müllabfuhr nicht mehr im Mietpreis inbegriffen, jede Familie muss selbst die Müllgebühren tragen.
Mit ebenfalls neun Jahren war Charlene damals dem Schwimmverein beigetreten. Sehr früh im Jahr suchten sie gemeinsam per Fahrrad das Freibad auf, um zu schwimmen. Da Leni sehr dünn war, mussten die größeren Mädchen sie lange frottieren, wenn sie aus dem Wasser kamen, um sie wieder warm zu kriegen. Weil hier in der Stadt damals keine Schwimmhalle existierte, turnten die Schwimmerinnen den ganzen Winter über in der Turnhalle des Gymnasiums an den Geräten. Sie lernte eine gute Körperbeherrschung, aber als die Mutter sie auf ihren Wunsch hin mit zwölf Jahren beim Ballett angemeldet hatte, traktierte die Ballettmeisterin sie immer wieder mit ihrem Stöckchen und monierte ihre „eckigen“ Bewegungen. Angeblich war sie auch zu klein gewachsen, um irgendwann einmal auf der Bühne zu stehen, darum gab sie es rasch wieder auf. Die Mutter sollte ja nicht dafür bezahlen, dass ihr Kind geschlagen wurde. Charlene hatte bemerkt, dass andere Mütter nicht nur bezahlten, sondern Pralinen und Likör mitbrachten. Deren Töchter wurden besser behandelt.

Charlene nimmt Abschied

Die Sache mit dem jüngeren Bruder

Sie griff nach einem Eichelpaar neben sich und begann es am Stiel zu drehen. Als die Sonne, vom Wasser gespiegelt, in ihr Gesicht schien, schloss sie kurz die Augen und entnahm dann der Handtasche die Sonnenbrille. Vor zwei Jahren hatte sie wegen des grauen Stars ihre Augen operieren lassen. Da waren nun künstliche Linsen drin, mit denen sie sehr gut sah, nur zum Lesen benötigte sie eine Brille. Aber seit der Operation findet sie die Augen noch empfindlicher als früher, sie tränten schnell. Sogar das Leitungswasser beim Waschen brannte, was früher nur in den Badeanstalten geschah. Sie hatte immer angenommen, dass es vom Chlor kam. Ihren ziemlich kurzen, kräftigen Fingern spielten immer noch mit den Eicheln.
Warum saß sie immer noch hier auf der harten Holzbank?
Hier ist sie einmal zu Hause gewesen, bis sie vierzehn Jahre alt war und später noch einige Male, solange die Mutter noch lebte. In diesen Anlagen war sie als Kind mit dem hölzernen Puppenwagen und der Stoffpuppe mit dem Porzellankopf und ebensolchen Händchen dem etwas mehr als ein Jahr jüngeren Bruder nachgefahren, auf den sie aufpassen sollte. Er war damals drei und in der Trotzphase. Sie konnte ihn nicht davon abhalten, einem etwas älteren Jungen zu folgen, der zur Vogelwiese ging und laut prahlte, wie viele Karussells und Buden es dort gebe. Der Junge hatte etwas Geld und wollte sich Bonbons kaufen und auf ein Pferd oder einen Löwen steigen, die dort im Karussell ihre Runden drehten.
Der Weg führte sie von der einen Parkanlage an der Kasernenfront vorbei in die nächste, die am früheren Stadtgraben entstanden waren. Hinter dem kleinen Schwanenteich bog der größere Junge ab und ging über eine befahrene Straße immer weiter westwärts. Brüderchen folgte ihm stur und Leni hatte Mühe, den Puppenwagen heil hinüber zu bringen.
Auf dem Rummelplatz angekommen verlor sie ihn rasch im Gedränge aus den Augen und suchte beharrlich nach ihm. Es wurde heiß und sie zog Schuhe und Strümpfe aus und bugsierte die Schnürstiefel und Kniestrümpfe unter die Kissen im Puppenwagen. Als sie müde und hungrig wurde, machte sie sich allein auf den Heimweg. Sie hatte ein schlechtes Gewissen und Angst, dass der Bruder ganz verloren gegangen sei und sie Schläge zu erwarten habe. Schließlich war der Bruder Vaters Stammhalter, sie war nur die Tochter.
Nachdem sie den Heimweg und die vier Treppen bewältigt hatte, ging sie oben in die Gemeinschaftstoilette der drei hier wohnenden Familien und zog Schuhe und Strümpfe wieder an. Schleifen binden konnte sie noch nicht und ihr blieb unbemerkt, dass sie den rechten und den linken Schuh an die verkehrten Füße gezogen hatte.
Da kam der ältere Stiefbruder die Treppen herauf und rief laut: „Sie ist wieder da.“
Er hatte stundenlang die jüngeren Geschwister gesucht.
Die Mutter öffnete die Wohnungstür und schloss ihr Mädchen in die Arme, um das sie sich sehr geängstigt hatte. Den kleinen Bruder hatte ein Nachbar entdeckt und schon vor Stunden nach Hause gebracht. Die erwartete Strafe blieb aus.
Berühmte Abschiedszeilen meldeten sich aus den Gedächtnistiefen: Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften, ihr traulich stillen Täler, lebet wohl. Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln. Johanna sagt auf ewig lebe wohl.

Charlene verließ die Parkbank und ging an der Poliklinik vorbei noch einmal zu dem großen Backsteinhaus, in dem sie unter dem Dach geboren und aufgewachsen war. Heute standen die Wohnungen dort oben leer, keine gefüllten Blumenkästen schmückten mehr die Giebelfenster, wie damals. Oft hatte sie den Auftrag bekommen, die abgeblühten Teile daraus zu entfernen. Dann klebten die Finger und sie hatte den starken Geruch der Petunien an den Händen, einen unvergesslichen Geruch, nicht unangenehm, eben einzigartig. Doch ihrem sechs Jahre jüngeren Bruder blieb der Geruch nicht im Gedächtnis haften, er erinnerte sich nur an diese Blumen, weil er sie als Fallschirme nach unten fallen ließ.
Charlene hatte einmal einer Puppe aus der Puppenstube, die sie in ein selbst gebasteltes Glashaus im Blumenkasten gesetzt hatte, aus einer Petunienblüte mit gewelltem Rand einen Rock gemacht, indem sie das schmale Ende abschnitt. Der Boden dieses Hauses war ein Spiegel auf einer Pappe, unter der eine kleine Batterie verborgen war und wenn sie die Puppe darauf setzte, bekam eine kleine Glühlampe Kontakt und leuchtete zwischen den Blumen auf. Lene konnte sich stundenlang allein mit so etwas beschäftigen, wie alt sie da gewesen sein mochte, wusste sie nicht.

Okay!

Okay! Es ist wie es ist.
„Wer sich in Gefahr begibt,
kommt darin um.“
Und „unrecht Gut gedeiht nicht.“
Hoch die Tugend! Der Versuchung zu
widerstehen ist oft nicht leicht,
aber ich hatte nie vor, mich
dieser Habgier-Gesellschaft anzupassen.

„Ein gutes Gewissen
ist ein sanftes Ruhekissen.“
Die deutschen Sprichwörter
sind unerschöpflich, nur
die Deutschen scheinen sie
nicht mehr zu kennen und
schon gar nicht zu beherzigen.

„Und führe uns nicht in Versuchung.“
Wie oft wird das gebetet im
Christentum, im Herzen, im Geist.
Armut tut bitter weh.
Das schöpferische Universum
sucht Spielgefährten.
Ich eigne mich wohl nicht dafür.

Aber ist es nicht vielleicht doch
geneigt, die Wahrhaftigen zu
bevorzugen und zu belohnen?
Die sanften Wege der Umgestaltung
von Wirtschaft und Gesellschaft
zum Wohle aller Menschen
sind weit und unwegsam.

Also weiter, furchtlos, klaglos,
tapfer. Nur der Sieg macht heiter!

16. 07. 2015 Aus Albtraum erwacht / Was will mein Unbewusstes?

Wieder aus einem Albtraum Schule erwacht.
Neuer Einsatz erste Klasse, finde mich nicht zurecht, keine Stundenpläne, kein Klassenbuch, keinen Lehrplan und Anleitungen – nichts. Total hilflos und verlassen. Kann mich an nichts erinnern – furchtbar noch nach dem Erwachen!!!
Warum? Nach 30 Jahren, beschäftigt sich das nächtliche Unbewusste wieder damit. Was hat es mit dem Heute und Hier zu tun? Fühle ich mich wieder hilflos und ausgeliefert? Oder sollte ich mich im Manuskript damit befassen?
Fragen – Fragen –Fragen
Wenn das schöpferische, intelligente Universum Mitspieler wünscht in seiner allumfassenden Gestaltungskunst, warum eine wie mich, die nicht spielen kann?
Erleuchtung flieh mich nicht! Hier bin ich. Ich kann nicht anders.
Na gut:
1. In welchem System befinde ich mich,
2. in welchem Muster?
3. Wie lautet die Regel?

Zu 1. Wirtschaft: eine kapitalistische Marktwirtschaft, nicht sehr sozial
Gesellschaft spaltet sich immer mehr in arm und reich
Gesellschaft überaltert langsam aber sicher, halten Altersarmut und Altersreichtum sich die Wage? Kinderarmut groß, sind sie gleich groß?
Gesundheitssystem – biologische Medizin überwiegt noch, trotz ganzheitlicher Ansätze (Macht der Pharmaziekonzerne)
Macht der Ärzteschaft nicht mehr ganz so anmaßend, Eigenverantwortung wird schon anerkannt und Willen der Patienten, die sich selbst beobachten, beachtet. System also im Aufbruch zu ganzheitlichem Verständnis, nicht nur bei der Neurologin, auch bei der Hausärztin.
Ernährungsmäßig gibt es immer mehr Vegetarier und Veganer, sogar unter den Männern. Aber der Handel stellt sich nur langsam darauf ein.
Die Landwirtschaft bearbeitet die Böden mit schweren Maschinen, künstlichen Düngemitteln und Pestiziden, einige sind zwar verboten, aber nicht jeder Ersatz besteht aus natürlichen Resourcen, sondern aus neuer Chemie. Genetisch verändertes Saatgut bedroht die hergebrachten, bewährten Sorten, weil nicht strikt getrennt wird (werden kann?).
Die Tierhaltung erfolgt in Großbetrieben, wenige Bauern versuchen mit offenen Höfen und Hofläden die Bedürfnisse eines bewussteren Teils der Bevölkerung zu befriedigen, allen voran Demeter Höfe. Leider ist dies nur begrenzt möglich, weil noch nicht Mainstream.
Bildungswesen – die sechzehn Länder haben jeweils die Bildungshoheit. Es gibt keine einheitlichen, bindenden Lehrpläne – überall Versuche von Schulformen, manchmal wird integriert, weil keine passende Schule in der Nähe ist, aber es mangelt an ausgebildeten Lehrkräften, die das ausgleichen könnten. Die Klassenstärken in den allgemeinbildenden Schulen sind zu groß, in einigen Gebieten sind die Schüler nicht der deutschen Sprache mächtig, weil die eingewanderten Eltern noch ihre Muttersprache sprechen und den Kindergarten ablehnen oder nicht bezahlen können. – Was ich über Hochschulen und Universitäten lese, legt den Schluss nahe, dass sich viele junge Menschen zu früh zu einem Studium entschließen, aber die Praktikumsordnungen lassen die Menschen in Abhängigkeit von den Eltern verzagen. Stipendien müssen zurückgezahlt werden, nur bei Abbruch des Studiums?

Zu 2. Ich bin in welchem Muster? – Alter Mensch, arm, angeschlagen, vegan, gesundheitsbewusst, möglichst aktiv, lesend, schreibend, malend – also kreativ, im Internet kontaktintensiv, im Umfeld auch so gut wie möglich, aber kaum Gleichgesinnte. Fühle mich nicht in der Lage, irgendwo etwas zu bewirken.
Suchende in Sachen Gesundheit. Ist Rohkost das Ernährungskonzept der Zukunft? Darf ich Früchte aus Ländern essen, die mit dem Flugzeug hierher transportiert werden? Sicher nicht, wenn der Anbau nur durch Urwaldrodung möglich ist.

Zu 3. Wie lautet die Regel? Reicht es, alles so gut wie möglich zu tun jeden Tag? Wo müsste ich was ändern?
Schiller: „Nur der erwirbt sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muss.“
Wo könnte ich Eroberungen machen? Mich einmischen?

Unerträgliche Hitze

Auf der Loggia heute nur 30°C,  aber im Zimmer 31°C. Gestern waren es draußen 35°C, auch heute der kühlste Raum die fensterlose Toilette. Obwohl ich am Morgen gründlich durchlüftete und versuchte Durchzug zu veranstalten – es regte sich kein Lüftchen.

Dabei war ich heute schon unterwegs und da ging der Wind. Da ich im Schatten neben der Bushaltestelle saß, bekam ich sogar kalte Füße.  Zu Hause brannten mir dann wieder die Augen vor Schweiß.

Die Kapitelübersicht für die „Wyrrnuma“ macht mir zu schaffen.  Da fehlt mir im Bearbeitungsexemplar ein ganzes Kapitel und ich finde es nicht. Dabei war ich gestern noch ganz zufrieden mit dem Fortgang – nur stimmen jetzt die Kapitel irgendwie nicht überein. Nimmt die Hitze auch etwas von der Konzentrationsfähigkeit? Hoffe, dass es nur das ist.

Das neue Seidenbild wächst. Nachdem das Porträt in der vorigen Woche gelungen ist, werde ich das wohl trotz Hitze hinkriegen. Hab Wasser statt Alkohol nehmen müssen, weil der im Nu verdunstet war. Aber das Pferd scheint plötzlich zu kurze Beine zu haben. Werd mir noch Pflanzen davormalen, oder meinen Hund da auf das Grün.

Schattenleben

Auf der Schattengrenze meiner Schattenwelt,
die kleine Nachtmusik mit Schattentänzen
Immer nur unendliche Sehnsucht ohne Erfüllung
in matter Dämmerung dahinwelken – Schicksal Frau
Mein Ich ohne Furcht krallt die Angst
von Einsamkeit und Ruhe still gepackt, gebeutelt.
Ohne Reue vorwärtsgehen, doch das Dunkel hält
den Abwärtstrend verborgen – nach oben tasten wollend,
hinunter gleiten, plötzlich rutschen ohne Halt zu finden,
stehen bleiben, im Kreis herum fühlen.
Die Leichtigkeit des Seins bezweifeln –