Archiv für den Tag: 24. September 2015

Die herrlich verrückte Welt 8.

Gelächter und Geknutsche folgen. Sie schaut auf die Leuchtziffern ihres Weckers, er folgt ihrem Blick. Sie kuscheln noch ein wenig, dann schiebt Cheryl ihn aus ihrem Bett. Komm duschen!
Ist das ein Befehl?
Ich kann auch zuerst allein gehen.
Besser. Dein Bett riecht so gut.
Lass dich nicht von den Katern erwischen!
Och, die mögen mich, glaub ich. Die fühlen dein Wohlsein.
Scherzkeks!
Nee, im Ernst. Die Katzen scheinen mit dir zu fühlen. Schon als ich das allererste Mal diese Treppen hoch kam.
Als sie wieder nach oben kommt, sitzen Circe und Lilly neben Finn auf dem Bettrand.
Lässt du sie bei dir im Bett schlafen?
Manchmal, wenn mir kalt ist, aber nicht regelmäßig. Meistens kommen die, wenn ich Stress hatte, von ganz allein zum Schmusen.
Und wie deutest du es, dass sie zu mir kamen, sobald du gegangen bist?
Die wollen dich auch genießen!
Tse, tse! – Da gibt’s noch was, dass du wissen sollst. Erinnere mich bitte später.
Finn geht duschen, Cheryl öffnet das Fenster und legt die Decke über den Bettgiebel zum lüften.
Danach ist Frühstück in der Küche angesagt. Sie fährt auf: Butter, schwarzen Johannisbeer-Gelee, Bienenhonig, Käse und Joghurt, frischen Schnittlauch, rote frische Paprika, Bohnenkaffe und Kondensmilch, Zucker – was vergessen? Sie macht altbackene Brötchen nass und legt sie zum Aufbacken in die Röhre des transportablen Öfchens.
Die Handtücher hast du mir extra hingelegt, danke!
Finns dunkles Haar ist noch feucht.
Magst du ein Frühstücksei? Wie weich?
Alles Eiweiß fest, nur das Gelbe flüssig.
So mag ich´s auch.
Cheryl nimmt die Brötchen mit einem Geschirrtuch aus der Röhre und legt sie in ein Körbchen, deckt sie mit dem Tuch zu. Sie setzen sich, da pfeift schon der Eierkocher und sie springt wieder auf und schreckt die Eier ab, stellt sie in die blauen Eierbecher mit den weißen Punkten. Sie liebt das blauweiße Steinzeug, alles passt zueinander. Keine Plastikeierlöffel, sondern Horn noch aus Oma Goldingers Haushaltsbeständen.
Du wolltest mir noch was erzählen.
Ja. Ich hoffe, dass du dich in meine Situation nach dem Tod meiner Frau ein wenig rein denken kannst. Ich bin monatelang im „Westend“ versackt vor Kummer. Mehrmals fand ich mich morgens in der Dachkammer der Kellnerin Elli. Der Mann war Diabetiker und schon länger nicht mehr für Elli im Bett da. Sie hat es auszunutzen gewusst, dass ich schon mindestens ein Jahr nicht mehr mit einer Frau zusammen war.
Das ist doch nicht weiter schlimm.
Ellen Scheithauer ist 60 Jahre alt, ihr Mann war 6 Jahre älter.
Ach! Und das konntest du?
Zuerst war ich so voll, dass ich früh nix mehr wusste. Sie war auch viel aktiver im Bett, als meine Frau es je fertiggebracht hätte.
Hat dir also Freude bereitet.
Kann man so sagen. – Später schämte ich mich und mied das „Westend“. Da stand sie nachts vor meiner Terrassentür und hämmerte an mein Schlafzimmerfenster. Wollte nicht, dass die Nachbarn aufmerksam werden, bei denen brannte noch Licht, also ließ ich sie rein. Sie bettelte mich an, doch ein bisschen lieb zu ihr zu sein. Es fiel mir nicht schwer, war schon wieder über einen Monat her. Aber ich wollte das nicht als Dauerzustand und zeigte ihr im Internetshop diverses Spielzeug für Frauen. Sie suchte sich etwas heraus und ich bestellte und zahlte. Als sie es abholte kam es wieder zu Sex. Ich schwor mir, das letzte Mal, baute einen Bewegungsmelder an, der sofort die ganze Terrasse mit Licht überflutete, wenn jemand sie betrat. Dann kam sie nicht wieder, ich dachte, dass sie sich mit dem Spielzeug vergnügt.
Und, hat sie?
Weiß ich nicht, hab nicht nachgefragt. Kurz drauf ging sie in schwarz, ihr Mann war gestorben, ich muss es in der Zeitung übersehen haben. Als ich ihr mein Beileid aussprach, erzählte sie mir, dass sie nicht mehr kellnert, sondern im Pfarrhaus für Pater Benedikt und seine Gäste kocht und das Haus putzt.
Ich bin da gut versorgt, meinte sie noch mit einem Augenzwinkern. Ich wusste, dass sie zu Bruder Benedikt immer beichten gegangen war, aber sich die Untreue nicht hatte verkneifen können. – Das war`s.
Hatte sie sich nicht in dich verliebt?
Offensichtlich mehr in meinen „Schniddelwutz“, wie sie das männliche Glied in ihrem saarländischen Dialekt nannte.
Cheryl lachte laut: Also das Wort habe ich noch nie gehört. Aber ich kenne die Verehrung des Lingams aus der Kunstgeschichte. – Weiß irgendwer davon?
Schon möglich, dass die Stammgäste vom „Westend“ etwas mitgekriegt hatten. Aber angesprochen hat mich darauf nie jemand, hab auch kein Geraune hinterbracht bekommen. Das mit dem Rumerzählen klappt hier eigentlich sonst immer. Schon Dörte vom „Heißen Ofen“ hätte was gesagt, wenn es bei ihr angekommen wäre. „Westend“ liegt zum Glück am anderen Ende der Stadt draußen.
Es wäre dir peinlich. Klar. Mir auch.
Du bist neu für mich. Eine völlig andere Erfahrung. Habe ich so noch nie erlebt. Es ist eigentlich unfassbar: So plötzlich. Überwältigende Gefühle.
Genau. So geht es mir mit dir. Hast mich einfach mitgerissen. Warm. Innig. Trotzdem vertraue ich dir. Obwohl mein Verstand sagt, dass es nicht sein kann, denn wo sind die Fakten? Du hast mich in der Hand – einerseits ein gutes Gefühl, denn deine Hand ist warm und tut mir gut – andererseits weiß ich, dass die Welt nicht gut ist zur Zeit, bei all dem, was geschieht an Machtgerangel, Kriegen, Vertreibungen, Toden …
Ja. Warum sollte es gerade uns gut gehen? Das verblüfft mich auch. Du drückst dich nur besser aus.

Die herrlich verrückte Welt 7.

Wenn ich nicht mehr zeigen muss. Sie lacht und zieht ihn nach oben und bis ganz unters Dach. Die Treppe ist so schmal, dass sie dann nicht mehr nebeneinander gehen können. Oben muss sie erst die vorgestrichene Holzplatte wegnehmen, bevor sie das Bild von der Erde an der Wand holt und auf die Staffelei stellt.
Sie schauen beide stumm darauf, jeder mit den eigenen Gedanken beschäftigt.
Ich darf sie nicht überrennen!
Er soll meine plötzliche Geilheit möglichst nicht merken. Das mögen vernünftige Leute nicht.
Gefällt es dir?
Was?
Na das Bild.
Oh, ja. Es strahlt Freude aus und ist witzig. Da, die blaue Perücke an der Gardinenstange. Das ist die vom Clown und – überhaupt alles.
Danke. Du bist einfach fantastisch. Dachte kurz, dass deine Gedanken weit fort sind.
Sie sind ganz bei dir. Deine Nähe … Ist einfach schön.
Eine Etage tiefer: Du schläfst hier. Nicht mal einen Fernseher hast.
Brauch ich nicht, gucke manchmal Voranzeigen im Netz, ist ja meist nicht mal spannend. Wirkliches Leben ist nicht so langweilig wie die ewigen Dreiecksgeschichten und Eifersuchtsszenen. Neulich das ältere Pärchen, den Film hab ich mir dann doch runtergeladen.
Wo der erst so frech ist und sich später entschuldigt?
Sie nickt.
Hat mir auch gefallen. – Es fällt mir schwer, jetzt zu gehen, muss wohl sein.
Warum eigentlich? Fragt sie sich.
Eigentlich sind wir doch erwachsen.
Wir sind doch erwachsen. Sie sprachen es im Chor.
Ganz leise wendet er sich vom Treppenabgang zurück und sie fallen sich lachend in die Arme. Es geht ganz rasch und leicht, sie fühlen sich miteinander wohl.
Ach, im ersten Rausch –denkt sie noch. Dann kann sie nur noch fühlen…

Es ist immer noch dunkel, da streichelt er schon wieder ihren Arm, dann die Brüste und den Bauch. Sie ist sofort hellwach. Ihr Mund sucht seinen. Sie versinken erneut ineinander, stöhnen, ergießen sich.
Du bist so herrlich weich. – Und du bist so muskulös und schlank. Andere bäucheln schon heftig in deinem Alter.
Plötzlich denkt er, dass er ihr ein Bäuchlein machen möchte und lacht.
Lachste mich aus?
Nein.
Mal ehrlich, warum lachst du?
Ich dachte dran, dass wir kein Kondom benutzt haben.
Finn, hast du Kinder?
Das erzähle ich ein andermal. Passt jetzt nicht her.
Aber du hast an Kinder gedacht?
Möchtest du keine?
Im Garten ist noch der Sandkasten, in dem ich früher gespielt hab, wenn ich hier war. Ist nur abgedeckt, weil ich es nicht übers Herz brachte, ihn abzubauen.
Wollen wir den bevölkern?
Du hast Nerven, und das in der ersten Nacht!

Die herrlich verrückte Welt 7.

Ich mag sehr gern Kartoffelpuffer.
Ja, die mache ich wie … also aus gehobelten Kartoffeln statt geriebenen.
So? Muss ich mal ausprobieren.
Komm mich morgen Abend besuchen, dann zeige ich es dir!
Du bist lieb.
Du auch, und schön, bisschen sanft und herzlich.
Na, da täusche dich nur nicht, wenn mir was gegen den Strich geht, kann ich recht hitzig sein.
Sie lachen und er legt seine Hand auf ihre auf dem Tisch.
Nachtragend bist du aber nicht, falls jemand Fehler macht?
Kommt doch drauf an, worum es geht. Manches ist total tabu und wird geahndet.
Das wär zum Beispiel.
Ätzende Rumnörgelei, anhaltender, beleidigender Zynismus, uneinsichtige Verbohrtheit; Dummheit im Allgemeinen ist oft unerträglich.
Aber nachtragend bist du nicht.
Kommt drauf an.
Worauf?
Na, ob derjenige einsichtig ist, sich ändert.
Zynisch sind wir doch alle manchmal, oder?
Glaub ich nicht.
Ist Snobismus nicht schlimmer?
Kommt auch drauf an. Mancher Snob entpuppt sich als Witzbold, als interessanter Erzähler oder hat viel Charme. Das gleicht schnell aus, wenn man ihn näher kennt; während weibliche Snobs oft nur auf Äußerlichkeiten bedacht, dämlich im wahrsten Sinne des Wortes oder herzlos sind.
Finn lacht. Ganz schön hart mit dem eigenen Gender.
Fakeprofiles, Trollings und Sockenpuppen im Internet sind auch manchmal Frauen. Die tummeln sich unter Männermaske im Netz und machen anderen das Leben zur Hölle mit ihrer Falschheit. Sind wie Napoleon, wie zu klein Geratene.
Gehst du viel ins Internet?
Ich hab eigentlich immer viel zu tun. Heute Abend wäre ich vielleicht auf meine Plattformen gucken gegangen oder in abonnierte Blogs. Gehst du nicht rein?
Doch, aber meist suche ich auf eBay abgelagertes Holz zum Schreinern, oder Grünholz zum Schnitzen und nacharbeiten für Kunden. Auch Kundschaft kommt manchmal über meine Präsens rein, Stühle aufarbeiten und so. Politik hör ich lieber im Radio oder Fernsehen. Ist eh meist nicht so super, was passiert. Die überschütten die Menschen mit Katastrophen und tun nichts dagegen und für die Menschen wenig.
So siehst du also die Welt? Ich geh in meinen Garten und lebe mit meinen verschmusten Katzen. Dumme rennen, kluge warten, Weise gehen in den Garten. Nicht von mir, der Spruch.
Goldi hat ein goldiges Herz glaub ich. Finn sah sie lächelnd an, sie konnte nur lachen: Wie du meinst.
Dirk, komm mal, ich möchte zahlen. Dirk murrt leise, nimmt wieder die Skatkarten und steckt sie in die Tasche. Zeig mal, was auf dem Deckel steht.
Hast mir keinen gemacht. Kleines Schnitzel mit Pommes frites und Salat, Wiener mit Salat, eine Weinschorle und ein großes Bier.
Guck an, sie hat doch alle beide gegessen.
War mir ein Vergnügen, hatte lange keine so leckeren.
Siehste. Erst kosten muss man.
Finn zahlt und sie gehen hinunter, wo sich die Tabakschwaden inzwischen etwas verzogen haben. Eine weiße, tragende Pudeldame kommt ihnen entgegen.
Na nu, hattest du sie nicht kastrieren lassen Dörte?
Doch, dieser Arzt muss das noch mal kostenlos machen, hinterher. Das war Kobold, wusste nicht, dass das schon so junge Hunde bei ’ner älteren Hündin fertigbringen. Alle lachen.
Vielen Dank. Das Essen war gut. Sie hat im Gespräch beide Würstel gegessen.
Na, dann fühlt sie sich in deiner Gesellschaft wohl. Dörte zwinkert den beiden zu und sie verabschieden sich.
Cheryl hängt sich bei Finn ein: Gar nicht so kalt, wie ich dachte.
Ich hätte dich aber gerne gewärmt. Finn drückt ihren Arm an sich und es geht ihr wie elektrischer Strom durch und durch. Sie drückt zurück.
Sie gehen in Richtung Laden und sind schnell da.
Dürfte ich vielleicht dein neues Bild ansehen, ich wollte nicht unhöflich sein und ohne Erlaubnis die Verhüllung abnehmen.
Cheryl gähnt. Muss doch nicht heute sein.
Aber ich bin doch jetzt erst recht neugierig.
Na ich meine, nachdem wir einander so einiges erzählt haben. Ham wa doch?
Ja schon… Na komm.
Cheryl sperrt die Ladentür auf und lässt ihn rein, macht wieder zu und das Licht kurz an, während sie durchgehen. Aber kaum ist er drin, zieht er sie an sich, küsst sie zart auf die Stirn, streichelt ihre Wange und sieht ihr voll ins Gesicht.
Sie lächelt, nimmt seinen Kopf zwischen die Hände, zieht ihn ein Stückchen runter und nimmt sachte seinen Mund. Er macht einen herzhaften Kuss daraus.
Ich will dich nicht überfallen. Zeig mir dein Bild bitte.

Die herrlich verrückte Welt 6.

Im Kino gibt`s keinen so tollen Film. Möchte dich mit einer Freundin von Friedel, meiner vor zwei Jahren verstorbenen Frau bekannt machen. Sie hat eine kleine Kneipe mit Pension hier in der Nähe, den „Heißen Ofen“.
Ach, hab ich schon gelesen so ein Hinweis-Schild.
Er geht ein bisschen steif neben ihr, gestern war er doch locker? Aber sie ist auch aufgeregt: Jetzt werde ich mit Friedel verglichen, sagte sie sich.
Aus dem Gastraum klang Schunkelmusik bis auf die Straße, als sie eintraten, qualmte der Tabackdunst nur so heraus. Igittigitt. Ich mag in keine Räucherhöhle…
Nee, im ersten Stock ist das Frühstückszimmer, da kann man nett essen.
Hallo Dörte, hallo Klaus. Das ist Cheryl Goldinger, ich werde für sie arbeiten. Angenehm. Ein kleines Schnitzel mit Pommes und Salat?
Ja.
Und was möchtest du, Goldi?
Die Wirtin grinst, als er Cheryl so nennt.
Eine Wiener und Salat würden mir jetzt schmecken.
Wiener sind immer ein Paar.
Ist nicht so schlimm, im Notfall nehm ich die zweite für meine Katzen mit.
Sie steigen in den ersten Stock. Schon, als beide auf der Treppe sind, fragt Dörte: Wie immer ein Pils? Und für die Dame?
Eine Weißweinschorle bitte.
Okay.
Der Frühstücksraum ist hübsch eingerichtet mit Blumen vor den Fenstern und Sträußchen auf den Tischen. Finn geht an einen größeren besetzten Tisch und klopft auf das Holz: ´n Abend.
Die Männer spielen Skat, eine Frau daneben rückt zur Seite: Auf der Bank ist noch Platz. Finn schon im Fortgehen: Danke, wir setzen uns lieber ans Fenster.
Cheryl ist mit dem Fensterplatz sehr zufrieden und nimmt den Stuhl, auf dem sie den anderen den Rücken zudreht. Möchte nicht so gern, dass jemand ihr Gesicht studiert.
Der mit den Locken ist Dörtes Mann, die anderen sind aus dem Ort bis auf den mit der Brille, der zählt zurzeit Waldtiere. Die Behörden wollen wissen, ob sich wirklich schon ein Wolf hier rumtreibt wegen der Ziegen und Schafe auf den Wiesen, und wegen der Schmusekarnickel im Kleingartenverein nahe am Waldrand.
Wenn genug kleine Säugetiere da sind, geht der nicht über die Zäune oder an Ställe.
Sagt der behördliche Zähler auch. Sogar einen Waschbären soll ein Wolf weiter im Osten von hier erlegt haben. Sie haben den schönen Schwanz und andre Fellreste gefunden.
Aber Vögel werden von den Wölfen auch gejagt, Eulen, die sich am Tage irgendwo erreichbar hinsetzen und doch nur bei Nacht gut sehen.
Eine Klingel ertönt. Bier und Weinschorle stehen im Aufzug. Der Wirt steht auf und serviert sie den beiden, geht aber sofort zu seinen Karten zurück. Verflixt, wer hat mein Kreuz-As geklaut? Gelächter am Tisch: Suchen!
Die amüsieren sich immer, wenn Dirk servieren muss. Aber keiner nimmt übel. Es ist ja Spiel und geht nie um viel Geld, nur Geldstücke, die in ein Glas auf dem Tisch geworfen werden müssen, vor jedem Spiel und wenn einer flucht oder ein fieses Wort benutzt.
Kannst du Skat spielen, Goldi?
Ich verliere immer, darum lass ich`s.
Es klingelt schon wieder. Diesmal nimmt Dirk sein Blatt mit, steckt es einfach in die Hosentasche, nimmt dann das kleine Tablett und kommt mit Schnitzel, Würstchen und Salat an den Tisch. Was soll das Tütchen, lag mit drin?
Sicher für mich, wenn ich das zweite Würstchen für die Katzen mitnehmen möchte.
Aha.
Du wirst doch so zwei kleine Wienerle schaffen, ulkt Finn.
Will nicht noch mehr zunehmen, bin rund genug.
Meinetwegen könntest du zum Kugeln sein, du würdest mir trotzdem gefallen.
Danke, der Herr! Doch dann sind Zucker und Fettleibigkeit kein Vergnügen. Ab und zu möchte ich nämlich Schokolade genießen oder Eis mit Schlagsahne. Darum ist es besser, abends weniger zu futtern.
Das ist gut überlegt. Guten.
Gleichfalls guten Appetit.
War deine Frau krank, wenn ich das fragen darf?
Brustkrebs, zu spät entdeckt, warn schon viele Metastasen da.
Krebs, ein furchtbarer Tod. Meine Mutter starb daran, ein Jahr später Vater an Herzinfarkt. Er konnte nicht ohne sie leben nach über 40 Jahren Ehe.
Traurig. Aber du bist noch keine 40?
Neugierig eh!
Gut, eine Dame fragt man nicht nach dem Alter. Ich bin jetzt 39, meine Frau war auch erst so alt. Wir gingen gemeinsam zur Schule. Friedels Großmutter ist in gleicher Weise gestorben.
Ja, man sagt, dass es sich eher in die übernächste Generation vererbt. Das lässt mir Chancen. Außerdem gehe ich mehr nach den Goldingers, im Aussehen und auch in manchen anderen Anlagen. Oma Goldinger sagte, ich sei robuster als meine Mom und nicht so zartgliedrig.
Aber ziemlich klein biste, wie ich festgestellt habe.
Omas ältere Schwester ist so klein und schon 93, hat wie ich immer gesund gelebt, nur manchmal trinkt sie gern einen Likör. Sie lebt seit 14 Jahren im Heim „Am Krähenberg“.
Manchmal bestelle ich mein Essen dort. Ist immer was los im Speisesaal. Aber jetzt müssen einige gefüttert werden. Da sehe ich nicht gern zu, viele Erinnerungen. Hab inzwischen ganz gut kochen gelernt, nicht nur Pommes frites und Schnitzel, Rumpsteak und Eierkuchen.

Die herrlich verrückte Welt 5.

Sie guckt noch rasch in den Laden. Alles fest zu? Die Heizung kann über Nacht doch ein wenig wieder runter, wird sie morgen früh etwas höher drehen, falls es kälter wird. Wie wäre es denn mit Solarzellen auf dem Dach? Öl ist langsam keine akzeptable Heizmethode mehr. Aber Großmutter hat vor dreißig Jahren mit Asbest decken lassen, die Entsorgung würde ein teurer Spaß und mit Ziegeln muss das Dach sein, wenn da Arbeiter Solarzellen anbringen sollen. Muss soundso runter, das Asbest, die gesetzlich eingeräumte Zeit dafür ist bald abgelaufen. Sie hätte einen Kredit aufnehmen müssen für das alles. Könnte sie ja immer noch, dann merkt so schnell keiner in der Straße von dem Lottogewinn, was ihr lieber wäre. Auch wegen der Partnersuche, denn da steht oft nicht mehr Liebe, sondern Geld im Vordergrund. Das war in der bürgerlichen Gesellschaft schon immer so. Doch wenn man wirklich Liebe möchte, darf frau nicht ans Heiraten denken, wenn sie Geld hat. Nun, bei ihren vielen Vorhaben wird`s bald versiegen.
Beim Durchgang durch die Küche beginnt Circe leise schnurrend an ihren Beinen zu reiben und zu betteln. Hat sie sich nicht satt gefressen? Will sicher nur Leckerlis. Wie kommt sie überhaupt die Treppe runter, das macht sie doch sonst nicht so gerne, weil hinauf steigen so viel Kraft kostet.
Cheryl nimmt einige Leckerlis aus einer versteckten Tüte, wartet, bis die Katze gefressen hat und nimmt sie dann auf dem Arm mit nach oben in ihr Bett. Dann ist sie rasch eingeschlafen.

Erfrischt wacht sie vom Telefonklingeln auf. Finn Fuchsbuckel ist dran. Wollte einen schönen guten Morgen wünschen. Hast du gut geschlafen?
Na klar. Und du?
Geht. Hab wirres Zeug geträumt. Erst von meiner verstorbenen Frau, dann von Liebe.
Kann ich verstehen. Sehnsucht nimmt man mit in die Träume.
Stille am anderen Ende der Leitung.
Hab ich was Falsches gesagt?
Nee, absolut nicht. Wundere mich nur, dachte ja nicht, dass du so was sofort verstehst.
Sie lachen. Auch sein Lachen ist warm.
Viel Arbeit heute?
Mir wird nie langweilig.
Mir auch nicht, beschäftige mich gern mit allem Möglichen.
DAS konnte ich sehen. Apropos sehen. Wollen wir nicht mal gemeinsam ins Kino gehen oder essen?
Ist das eine Einladung?
Natürlich, möchte dich eben schnell wieder sehen, nicht erst, wenn die Zeichnung fertig ist.
Das freut mich echt.
Heute Abend?
Er hat´s aber eilig, der liebe Finn. Wie lange mag seine Frau wohl schon tot sein? Wenn er noch von ihr träumt, muss er sie geliebt haben. Wie lange trauert man in diesem Alter?
Sieben Uhr vorm Laden?
Es ist ihr recht und sie freut sich. Nur keine übertriebenen Hoffnungen mahnt sie sich selbst, das wäre Fake.

Sieben Uhr tritt Cheryl aus dem Laden. Finn gibt ihr wieder seine wärmende Hand und drückt die ihre kraftvoll.
He, ich bin nicht aus Holz.
`tschuldigung, sollte nur herzlich sein.
Sie küsst ihn auf die Wange. Schon gut, aus Zucker bin ich auch nicht.

Die herrlich verrückte Welt 4.

Wieviel?
Weiß ich doch nicht.
Also das könnte teuer werden. Dein Limit?
Dreißig Eier.
Sie gibt ihm fünfzig und lässt ihn im Quittungsblock unterschreiben.
Aber keinen Wermut dafür kaufen.
Er seufzt. Deine Menschenkenntnis ist erschreckend, meine Schöne.
Sie grinsen sich an. Schade, dass ich dich nicht vor meiner Frau kannte.
Geschenkt. Hätte und könnte, aber nicht mit mir.
Jetzt bist du gnadenlos.
Ich les deinen Schriebs. Ist das noch nicht genug?
Haste auch wieder recht.

Als er weg ist, kommt schon Herr Dillschneider. sie erkennt in ihm auch einen Kunden.
Cheryl schließt den Laden ab. Kommt eh keiner mehr. Sie gehen gleich nach oben. Das Kochen kann sie sich heute sparen und Obst- oder Möhrensaft trinken, das hat genug Kalorien.
Aber jetzt schießt Kater Sartre aufgebracht auf den Fremden zu und Cheryl beruhigt ihn sanft. Mein Beschützer!
Oben schaut sich Dillgarten um. Ihr Atelier, soso. Die Lage ist gut, oder etwa drüben zur Sonnenseite?
Nee, hier.
Er sieht auf die verhüllte Staffelei. Darf ich? Na, muss nicht sein, würde mich aber interessieren.
Sie reden über das Vorhaben hier, dann über den Tanzsaal.
Muss ich mir auch erst ansehen.
Bevor sie treppab gehen, zieht sie doch noch das Laken vom feuchten Bild.
Oh, ihre Katzen und ein Clown. Schöne, kräftige Farbgebung. Sollten Sie nicht weiter malen, so unpräzise ist wunderbar.
Meinen sie?
Aufmerksam betrachtet sie ihr Bild, hängt es dann wieder zu. Sartré hat auf der Treppe gewacht und springt nun abwärts. Cheryl lobt ihn und streichelt. Er reibt sich an ihren Beinen.
Haben sie schon Vorstellungen über die Art des Materials?
Herr Fuchsbuckel hat Metallrahmen für das Glas vorgeschlagen.
Dillgarten nickt. Der weiß, was geht.
Sie verabschieden sich schon fast, da meint er, wenn sie Zeit habe, könnten sie zum Tanzsaal fahren, sein Auto steht um die Ecke.
Weil Cheryl es auch gern genauer ansehen würde, holt sie sich ein Getränk und steigt ein. Ist noch mehr als eine halbe Stunde Zeit. Aber die Gastwirtin ist nicht zu Hause, komisch. Kocht sie erst abends für die Leute?
Dillgarten bringt sie zurück, nachdem sie beide von außen bisschen rumgeguckt haben.
Im Laden ist es kühl. Sie dreht die Heizung etwas höher. Jetzt muss ich ja nicht mehr so eisern sparen, denkt sie froh.

Am Abend klingelt es unten. Cheryl schaut aus dem Wohnzimmerfenster auf die Straße. Sie fragt ins Dunkle nach dem Begehr. Es ist Klaus Korbmachers Frau, mein Gott! Bin gleich unten.
Klaudia Korbmacher fällt ihr beinahe um den Hals, sie hat Tränen in den Augen, möchte sich für das geliehene Gardinengeld bedanken und es zurückgeben. Cheryl bittet sie im Laden auf das Sofa und holt den Hocker hinter dem Kassenpult für sich.
Klaudia kann sich nicht lassen vor Freude, hält das Geldausleihen von Klaus für einen Liebesbeweis, braucht aber erst mal keine neuen Gardinen, will sie reparieren. Wenn Kobold älter und vernünftiger ist, hat sie noch schöne Spitzengardinen von ihrer Mutter, die würden gut passen.
Cheryl nimmt das Geld und zerreißt die Quittung im Beisein Klaudias. Die überschwängliche Dankbarkeit ist ihr anrüchig, aber Menschen können sich ändern, wenn sie wollen, denkt sie, und verabschiedet sich freundlich.
Sie steigt noch einmal zum Atelier hoch und betrachtet ihr Bild gründlich, dann stellt sie es zum Trocknen mit der Vorderseite zur Wand. Damals im Studium hat sie gelernt: Man darf nichts tot malen. Dem Betrachter muss Vorstellungsspielraum gewährt sein. Sie will es später noch einmal bei Tageslicht ansehen.
Cheryl stellt eine neue, abgetrocknete Holzplatte kleineren Formats auf die Staffelei und grundiert mit raschen Gesten. Ein neues Bild spukt in ihrem Kopf herum, ein Männerkopf mit blauen Libellenaugen. Sie denkt mit Wärme an Finn, freut sich auf seinen nächsten Besuch. Sie beginnt zu trällern. Wie heißt bloß der Text zu dieser Melodie mit dem schönen Rhythmus?
An Klaudias Besuch denkt sie mit viel Sympathie. Zwar nervt die offensichtliche Verliebtheit von Klaus in sie oft ein wenig, doch sie findet, er ist ein guter Kerl. Ihre erste große Liebe war ein verheirateter Mann mit sinnlicher Ausstrahlung und ethischen Grundsätzen. Heute ist sie froh, dass es platonisch geblieben ist, obwohl die Abweisung einen schmerzhaften Abdruck in ihr hinterlassen hat. Trotz zeitlichem und räumlichem Abstand unvergessen. Sie wünscht Klaudia und Klaus heute ganz verträumt eine schöne Liebesnacht. Es würde sie freuen, wenn sein Leben ein wenig ruhiger würde, obgleich sie ahnt, wie produktiv eine Sehnsucht machen kann. Schließlich ist sie eine empfindsame Frau mit Träumen.
Ach, sie hat ja seinen Entwurf noch nicht gelesen. Morgen wird er fragen kommen. Sie legt sich ins Bett, beginnt zu lesen und schläft darüber ein. Aris Scheithauer verübt in ihrer Fantasie einen Mordversuch an Klaudia. Das ist das Genre von Klaus. Alpträume sind ihre Sache nicht, sie wacht auf, weil sie erschrocken ist und muss runter, sich waschen, weil sie geschwitzt hat bei diesem Traum.

Die herrlich verrückte Welt 3

Reiche Eltern, wie?
Keine Eltern, mein eigenes Geld wird reichen.
Wann darf ich kommen?
Um zwölf mache ich eine Stunde Mittag.
Ich komme 11.45 Uhr in den Laden, ja?
Wenn es Sie nicht stört, dass ich koche.
Okay.
Das scheint zu klappen. Cheryl nimmt ein Buch vom Regal und setzt sich neben die Kasse. Hölderlin. „Den Hunger nennen wir Liebe: und wo wir nichts sehen, da glauben wir unsere Götter.“
Und sein Freund: „Als sei der Wahnsinn Zuflucht.“
Die Ladentür geht. Finn Fuchsbuckel wünscht guten Morgen.
Wollte mir die Wand mal ansehen. Hat Hosengut zugesagt?
Schickt seinen Gehilfen. Da hinten durch die Küche und dann zwei Treppen rauf.
Brauchst nicht aus dem Laden, ich find`s allein.
Nicht von den Katzen anfallen lassen. Die reagieren manchmal heftig.
Aber es ist nichts von den Katern zu hören.
„Wir, so gut es gelang, haben das Unsre getan.“-Nee, jetzt nicht weiter Hölderlin.
Wo steh ich im Gewebe unserer Zeit? Mein Leben eingebettet wie ein Wimpernschlag der Unendlichkeit zwischen den Kriegen und Flüchtlingskindern, meiner beginnenden Fettsucht, meinem Lesehunger, der Liebe sein soll? Wie müsste die Welt für ein moralisches Leben aussehen?
Brot für alle, ein Dach über dem Kopf, ein bisschen mehr Liebe und weniger Streit und Kriege.
Ich muss ja nicht kochen, wenn der Dillgarten kommt, kann mal fasten und Obstsaft trinken. Dann können wir oben alles ansehen.
Der Glaser kommt runter: Das ist ja ein Vorhaben!
Geht nicht?
Schon, mit viel Aufwand. Metall oder Holzrahmen?
Was´n besser?
Metall ist wetterfester und pflegeleichter, Holz schöner. Preis nimmt sich nicht viel heutzutage.
Na, haltbar muss es schon sein. Will hier nicht mehr weg.
Dann würde ich Metall vorziehen. Muss man aber schweißen. – Wie alt bist du eigentlich, Goldi? Ich duze dich dauernd.
Gelächter.
Könnte ebenso du sagen.
Also Finn, er gibt ihr die Hand, die ist warm und angenehm.
Hab gestern nicht gesehen, was du für tiefblaue Augen hast.
Und du so grünbraune wie Eichhörnchen.
Augenaufreißen bei ihr. Hab ich noch nie gehört oder gesehen.
Ich auch nicht, fiel mir eben einfach ein. Du rufst an, wenn`s losgehn soll?
Tschüss dann, tschüss. Cheryl ist beeindruckt von den blauen Augen, sind zwar Lachfältchen drum herum, aber so alt, wie sie dachte, kann er noch nicht sein. Die warme Hand, sie hat immer kalte. Wärme ist schön.
Alles nimmt seinen Gang. Ist aber erst zehn durch.
Die Gemüsefrau von nebenan kommt vom Markt zurück und klopft an die Schaufensterscheibe. Cheryl winkt sie rein.
Hab Porree, Möhren und Steckzwiebeln.
Ist die Idee fürs Gärtchen. Keinen Knoblauch?
Kann ich später rüberbringen. Reicht eine Knolle?
Klar. Zahl ich gleich mit.
Cheryl würde gern ein wenig tratschen, aber die andre hat´s eilig. Sie hebt ihre Geschichten für den Markt auf, da ist ihre Munterkeit beliebt. Geschäft ist Geschäft.
Klaus Korbmacher kommt mit Hund. Cheryl verdreht die Augen. Schon wieder!
Du hast doch hier Zeit. Lies das mal.
Die Menschen beginnen immer wieder neu. – Meinst du einzelne oder Menschheit?
Beide.
Guter Anfang. Mach ich. – Was kocht Klaudia heute?
Meine Frau kocht nicht. Ich mach Bratkartoffeln, Wiener und Salat.
Wusste nicht, dass der Hungerkünstler kochen kann.
Oder ich schnipple die Würstchen und mach mit Ei ein Bauernfrühstück draus, das mag sie.
Weshalb musst du sie schon wieder günstig stimmen? Haste was angestellt?
Der Kobold da wollte Fliegen fangen und hat ein Stück Gardine runter gerissen. Wie du mich schon kennst?!
Ich seh´s dir an, wie du guckst. Schuldbewusst. Katzen fangen auch Fliegen, wenn welche da sind. Aber ist doch schon zu kühl draußen.
Retten sich eben ins warme Zimmer. Könntest du mir nicht etwas leihen für eine neue Gardine? Klaudia verhaut mich.
Spinner.
Nee, ernsthaft, wenn sie sauer ist, kennt die keine Gnade.
Musst deinen Kobold besser erziehen, der ist doch noch jung.
Wem sagst du das

Die herrlich verrückte Welt 2.

Zufrieden trabt sie heimwärts. Hosengut wohnt zwar nicht weit von hier, aber das macht sie lieber telefonisch, außerdem hat sie Hunger.
Im Kühlschrank ist noch Obst. Bloß kein Fett mehr zum Abendbrot, lieber ein paar Flohsamenschalen dazu, damit sie nicht wieder zunimmt. Die Äpfel werden gut gewaschen, nur der Stiel kommt ab. Apfelgriebsche putzen den Darm, war ein Spruch von Omi. Oben im Wohn- und Schlafzimmer knipst sie die Stehlampe an und setzt sich auf die Tagesdecke vom weißen Metallbett.
Rakete und Circe sind schnell neben ihr, Lilly braucht etwas länger und muss hochgehoben werden. Das Alter. Sie schnüffeln kurz und wenden sich dann uninteressiert von Cheryls Teller ab.
Plötzlich ist sie müde und schläft sofort ein. Da ist die Milchglaswand oben schon da. Cheryl tippt mit dem Finger dran, ob es auch wirklich wahr ist. Die Hand fährt durch das Glas und sie geht weiter durch die sich erweiternde Öffnung. Ein Zwerg kommt ihr entgegen und nimmt sie an der Hand, führt sie in einen blumenduftenden Garten, wo ihre Katzen schon herumstreunen und schnüffeln. Mein Gott, wie schön!
Ich bin Aris Schulze-Mayer und Zauberer.
Du hast vor meinen Bildern gestanden und geschaut.
Schönes gefällt mir, aber ich sehe auch so etwas: Simsalabim. Seine Hand wirbelt durch die Luft. Ein Schatten fällt auf den Garten. Cheryl erkennt das Zeltlager der Flüchtlinge, frierende Kinder.
Ich dachte, die Zelte sollten bloß bis zum Herbst eine Notlösung sein?
War auch so gedacht, aber das Gebäude für die Unterbringung ist ausgebrannt. Brandstiftung von unbekannt.
Schrecklich!
Darum hast du im Lotto gewonnen, ich hab deine Zahlen verändert.
Und ich dachte schon, dass ich diesmal versehentlich andere Zahlen angekreuzt hätte. Was kann ich denn schon tun, mit meinem Winzighaus.
Da steht ein früherer Tanzsaal an der Kneipe „Zum Mühlgraben“ leer. Die Wirtin kocht schon für Flüchtlinge, aber sie ist alt und will bald aufgeben.
Hab mal von draußen in den Saal geguckt. Ist ziemlich runtergekommen alles.
Aber mit dem Gewinn könntest du´s umbauen lassen. Gemeinschaftswohnungen mit Toiletten und Duschen, aufstocken vielleicht später. Hosengut wäre der richtige Mann.
Aris ist wirklich ein Zauberer. In Cheryls Fantasie prasselt ein buntes Feuerwerk von Ideen.
Wovor hast du Angst? Ich werde von Anfang an einen Zauberbann darum ziehen, da kommt kein Brandstifter durch. Du bist auch begabt, sonst wärest du nicht durch eine Wand gekommen, die es noch nicht gibt.
Cheryl wacht auf mit einem unsagbaren Glücksgefühl. Helfen dürfen!
Sie steigt in die Küche runter und benutzt die farbenfrohe Toilette daneben, steigt in die Wanne und duscht. Nur ein Traum? Es war alles so realistisch. Sogar die Hand von Aris hat sie fühlen können.
Oben fährt sie den PC hoch und sieht nach, ob sie Arbeiten von Hannes Hosengut findet. Klar, das gefällt ihr. Sieht zwar bisschen von Hundertwasser abgekupfert aus, aber der hat ihr schon immer gefallen. Sie kennt sogar eine Hundertwasserschule. Ah, das hier erinnert sie eher an Jugendstil, ist aber moderner. Und hier ausgebaute Fachwerkhäuser, das Material Lehm kommt wieder in Mode, ist wärmedämmend und im Sommer kühl. Wusste sie nicht. Ein Null-Energie-Turm für `ne WG aus der alten Mühle. Ziemlich vielseitig, der Mann.
Sie ist zufrieden, aber sie findet lange keinen Schlaf, weil die Ideen im Kopf rastlos wirbeln. Von Rakete wird sie dann aber hemmungslos aus tiefem Schlaf gerissen. Hunger. Was, jetzt schon? Es ist dunkel. Na klar, bald September zu Ende.
Wieder überrascht sie ein Glücksgefühl. Kann Geld doch glücklich machen? Kommt drauf an, was du draus machst. Genau. Soziale Kompetenzen erweitern. Farbeffekte taumeln durch ihre Augen, lustig soll alles aussehen dann, nimmt sie sich vor. Schon wegen der Kinder, die so viel Leid erlebt haben, Krieg, Hunger und Flucht.
Vom Laden aus ruft sie den Architekten an.
Bin total ausgebucht im Moment, aber ich arbeite mit Dillgarten zusammen, der hat schon manches an meiner statt gedeichselt.
Und wo isser?
Sitzt neben mir. Moment.
Ja?
Hier Goldinger! Ich möchte erstens im Dachgeschoß an der Giebelseite eine große Glaswand haben und zweitens vielleicht einen alten Tanzsaal für Flüchtlinge ausbauen lassen.

Die herrlich verrückte Welt der Cheryl 1.

Im Lotto gewonnen, sag bloß?! Bist du nicht glücklich?
Geld macht nicht glücklich, weil Dinge nicht glücklich machen, nur die Beziehungen zu Menschen oder Dingen.
Mensch, bist du schlau.
Nee, bloß nachdenklich vielleicht.
Aber Geld muss man ausgeben.
Klar, werde ich das auch, wie verrückt, planmäßig und gezielt.
Du hast Träume.
Immer schon gehabt. Seinen Traum soll man leben, Scheißspruch, aber wahr.
Gibst du deinen Gerümpel Laden auf?
Spinnst du? Überhaupt „Gerümpel“, du redest `ne ganze Blechkolonne.
Na, Bücher über Bücher, alte Tischchen, olle Kommoden und Schränkchen, die dir kaum mal jemand abkauft.
Meine Bilder auch Gerümpel? Wegen denen kommst du doch immer wieder.
Auch. Vor allen Dingen deinetwegen.
Dass ich nicht lache. Deine Frau ist bitterböse auf mich, ich würde dich dazu verführen, das Geld für Müll auszugeben.
Die versteht eben nichts von Kunst und Künstlern.
Du bist einer, ein Hungerkünstler mit Hund.
Kann eben nur Krimis. – Und du ´ne Ladenbesitzerin mit ´nem Knall und sieben Katzen.
Die magst du doch, bringst immer was mit für die.
Um mich bei dir einzukratzen.
Nu ist aber genug. Ab durch die Mitte.
Du schmeißt mich einfach raus?
Guck mal auf die Uhr.
Du machst wieder mal zu früh Feierabend.
Zu spät. Kannste nicht lesen.
Geänderte Öffnungszeiten. Ohlala.
Das war das Allererste.
Komm noch ein Stück mit in den Park!
Du spinnst schon wieder.
Schade! Tschüss, du Süße.

Die kleine dicke Cheryl lacht und schließt die Tür ab, knipst das Licht aus und geht durch den dämmerigen Raum zwischen den Möbeln hindurch nach hinten in die kleine Küche. Sofort kommen zwei Kater an geschnurrt, die Katzen liegen lässig da. Sie können warten.
Sie zählt die Häupter ihrer Lieben, wie immer, sieben. Wenn´s Futter gibt, sind alle da. Aus dem Gazeschränkchen auf der überdachten Terrasse zum kleinen Garten nimmt sie frische Sprotten. Es ist kalt draußen. Aber die Katzen werden außerhalb gefüttert, damit sich der Fischgeruch nicht in der Küche festsetzt. Jeder hat seinen Teller und einen Trinknapf. Ordnung ist das halbe Leben, sagte die Omi immer.
Die Oma Goldinger hat ihr das schmale Haus mit dem Laden vermacht, den sie bis zu ihrem Ende beherrscht hatte. Nur langsam ließ sie sich dies und das aus der Hand nehmen, durfte Cheryl etwas ändern. Aber die Kräfte ließen dann schnell nach. Ich denke, dass sie glücklich eingeschlafen ist in der Küche, als ich im Laden Käufer hatte. Sie hat noch alles gehört, was sie hören wollte. Schmunzeln.
Rakete, Lilly, Bofinger, Doppelmoppel und Circe heißen die Katzen, die sich nach und nach durch den Garten bei ihr eingeschlichen haben. Omi hatte nur Sartré und Luzifer, als Cheryl ankam, die beiden Kater Die haben auch voll die Herrschaft. Heißt so gut: Hunde haben ihre Herrchen, Katzen ihre Diener.
Aber sie stürzen sich nicht auf das Fressen, bevor das Kommando kommt: Los!
Cheryl schaut von der Küche aus zu, bedauert zwar, dass sie hier das Geschmatze nicht so gut hört bei geschlossener Tür, aber man sieht, dass es schmeckt. Wenn sie sich geputzt haben, dürfen sie wieder rein und mit nach oben. Cheryl überlegt kurz, steigt nach ganz oben ins Atelier. Hier wird sie zuerst etwas ändern: Mehr Licht. Der Raum geht nach Norden und Osten, das ist günstig, nun wird an dieser Giebelwand eine große gläserne Mattscheibe angebracht werden. Nur kein grelles Licht, das mag sie nicht zum Malen, nur bei Freiluftmalerei. Doch dazu kommt sie kaum. Früher hatte sie ein paar Semester Kunst studiert, bevor die Mutter Krebs bekam.
Sie nimmt das Tuch von der Staffelei – nein, jetzt male ich nicht, bloß gucken, wie`s aussieht. Ein Clown mit Katzen, die um ihn herum springen und schweben, balancieren und schreien. Cheryl lacht sich selbst aus: Ich bin ein trauriger Clowny, die fressen mich kahl. Die blaue Perücke hat eine Katze an die Gardinenstange geschlenkert, der Zauberstab segelt durch die Luft, Kastagnetten liegen neben Klanghölzern und der Panflöte. Es wird, das Bild.
Sie hängt es wieder zu und geht hinunter, wo neben dem Bücherregal der PC und der kleine Weltempfänger stehen, beide Tischchen darunter blau gestrichen. Sie liebt Blautöne, Jazz und Clownerie.
Im Internet sucht sie einen örtlichen Glaser, findet ihn und fährt den PC runter.
So ihr lieben, jetzt geh ich doch noch mal los, bevor der Glaser Feierabend hat.
Luzifer ist nicht einverstanden. Er springt vom Fensterbrett und sie an mit Pfötchen hoch wie ein Hund.
Der weiße Lichtbringer will tanzen, sie dreht sich ein paarmal mit ihm und lässt ihre Rasselbande dann allein zurück.
Auf der Straße ist es schon ziemlich dunkel, aber sie weiß, wo die Mühlenstraße ist. Als sie bei Finn Fuchsbuckel eintrudelt, hat der aber doch Feierabend. Mutig drückt sie auf die Klingel. Mürrisch klingt es von hinter der Tür: Geschlossen! Aber dann wird trotzdem geöffnet. Ein mittelgroßer Typ unbestimmbaren Alters schaut sie an, ach die Künstlerin aus Oma Goldingers Laden.
Sie kannten meine Großmutter?
Klar. Bin ein Eingeborener. Wo brennt´s denn?
Ein Umbau des oberen, hinteren Giebels zu einer Glaswand.
Na komm! Erklär mal. – Hm, da wirst du einen Architekten brauchen, ist `ne tragende Wand. Da reiße ich nix einfach ab. Bringt der Laden so viel ein, dass du das leisten kannst?
Würde schon gehen.
Also der Hannes Hosengut macht das sicher erschwinglich.
Ach, das ist ein Kunde von mir. Wusste nicht, dass er Architekt ist.
Bist halt `ne Zugezogene, der ist ein ehemaliger Klassenkamerad von mir. Ich geb dir die Adresse.
Hab ich mal was hin geliefert, kenn ich. Danke.
Und wenn ´ne Zeichnung da ist, kann ich auch mit Ziegeln umgehen als Glaser und Bautischler.
Fein! Ich komm dann wieder.