Archiv für den Monat: September 2015

Die herrlich verrückte Welt 10.

Kaum hat sie den Laden durchquert und das Klapprad in der Küche, geht wieder die Ladenklingel. Sie wundert sich, aber da steht Herr Schulze-Mayer in seiner ganzen geringen Körperhöhe mittendrin und füllt doch irgendwie alles aus. So hat sie sich immer orientalische Märchenerzähler vorgestellt. Wo stammt eigentlich der Name Aris her?
Guten Morgen.
Guten Morgen. Es geht gut, wie ich sehe. Die Zufriedenheit lässt die Augen des Goldkinds glänzen.
Ja, bis jetzt Glück auf der ganzen Linie. Ich komme gerade von der Wirtin am Mühlgraben. Scheint nicht schwierig zu sein. Sie wirkt gerne mit, hat Empathie mit den Flüchtlingen, freut sich, dass mir die Kinder am Herzen liegen.
Die Schwierigkeiten warten schon.
Wie? Welche Schwierigkeiten?
Da sitzt einer im Bauamt der Stadt, der hat die braune Gesinnung seines Vaters geerbt. Dem kam der Brand gerade recht, der will keinen Islam hier, obwohl er längst nominell kein Christ mehr ist aus Geiz.
Die Kirchensteuer nicht mehr bezahlt?
Genau. Dazu noch judenfeindlich, hetzt gegen „Ziegeunerpack“ und Rassenvermischung. Der könnte längst in Rente sein, aber er ist mit seinem Amt verheiratet. Seine Frau ist ihm schon vor zwanzig Jahren mit einem schwarzen Amerikaner durchgebrannt. Er führt Buch über alle „Grenzgänger“ in seinem Haus, denn darunter versteht er Liebeshändel genauso wie Betrug und Bestechung.
Welche Schwierigkeiten könnten das sein?
Der Toilettenumbau erfordert einen neuen Kanalanschluss, den wird er nicht genehmigen. Der Saal ist seit langem weg vom Kanalnetz der Stadt, faktisch, seit er nicht mehr betrieben wird, weil die Hygiene das Klo gesperrt hatte. Das war der Anna damals ganz recht, die viele Arbeit, als verwitwete Frau allein nicht mehr zu stemmen. Die entstehenden Kosten ungedeckt.
Wie heißt der Mann dort?
Schulze-Mayer, Adolf…
Ach, ein Verwandter?
Meines Vaters Bruder, eigentlich ein Depp, aber mit Kompetenzen. Er ist der Finanzwächter praktisch dort, obwohl sie ihn längst zum Bauamt abgeschoben haben. Gibt aber immer noch Leute, für die er sozusagen ein Vorbild ist.
Mein Gott!
Du sagst es. Was meinst du, soll ich tun? Ihm den Verstand verwirren?
Ja, mach ihn doch einfach in eine alte Marktfrau verliebt, meine Nachbarin ist so auf Zack, eine tolle Geschäftsfrau, die könnte ihn mit ihrem Mundwerk fertig machen.
Die ist doch verheiratet, das passt nicht zu ihm.
Es heißt aber doch: Wo die Liebe hinfällt … Vielleicht wird er ja auf seine alten Tage noch mal brünstig, geil oder wie sagt man heute?
Wo kommt eigentlich dein Name her. Aris ist ungewöhnlich.
Meine Mutter war Griechin, liebte die Philosophie und die Künste. Ihr erstgeborener Sohn hieß Aristoteles, der starb schon drei Tage nach der Geburt. Als ich kam, nannten sie mich Aristophanes, nach einem griechischen Komödienschreiber. Das steht in meinem Ausweis. Aris ist einfacher.
Toll! Aber warum bist du so klein, wenn ich fragen darf.
Nach meiner Geburt ging es meiner Mutter schlecht. Sie hat das kalte Deutschland nicht vertragen. Das helfende Nachbarmädchen hat mich von der Wickelkommode fallen lassen, daher die Verwachsung. Sonst bin ich gesund, aber meine Mutter ist damals gestorben.
Schlimmes Geschick – so wie du bist, habe ich mir immer den kleinen Muck vorgestellt, den arabischen Geschichtenerzähler.
Sie lachen sich an.
Mal sehn, was sich mit dem Onkel deichseln lässt.
Wer wird in der Stadt nachrücken?
Ich glaube, dass die Frau des Bürgermeisters den Posten bekommt. Sie war Bauleiterin, aber der neue, der die Firma gekauft hat, hat sich seinen Mann dafür mitgebracht und sie entlassen.
Ist die gut?
Von einer Frau erwarte ich Mitgefühl für die Flüchtlinge. Die kann denken und hat organisieren gelernt.
Dein Wort in Gottes Gehörgang. – Also: Toi, toi, toi!
Tschüss!

Die Zeitung steckt an der Ladentür. Wieder keine Zeit dieser Briefträger.
Cheryl überfliegt die Schlagzeilen: Müll von vorgestern.
Auf der 2. Seite soziale Brennpunkte. Die Ministerin fürchtet Übergriffe auf niedliche Flüchtlingsmädchen. Die schwedische Königin mit ihrer Gründung bittet, man müsse die Frauen und Kinder schützen, weil die jungen Männer in der Überzahl kommen und vielleicht zu unverfroren sind.
Bedenkenswert. Sehr wichtig!
Cheryl überlegt: Frauen und Kinder von den Männern trennen. Das wäre ein Königsweg, bevor die Männertoiletten umgebaut sind am Mühlgraben. Das könnte den Grund hergeben. Aber die Männer haben in den muslimischen Familien das Sagen, die geben ihre Frauen nicht weg, weil sie den eigenen Dreck nicht wegmachen wollen. Putzen und Wäsche waschen, das sind Frauenpflichten. Was könnten sie aber machen, wenn es so angeordnet wird?
Männer müssen in ihrem Zeltlager selbst Ordnung schaffen, eine eigene Leitung mit Befugnissen, um zur Arbeit zu zwingen und Sport und Spiel für die Leute organisieren mit den ortsansässigen Sportvereinen. Dort können sie Fairness lernen, auch gegenüber den Frauen. Deutsche Hausfrauen möchten nicht beglotzt werden und hassen diese Anmache, als wären sie alle Nutten, nur weil sie sich anders benehmen, als Muslima.

Die herrlich verrückte Welt 9.

Sie überlegt, dass die Katzenklappe eigentlich längst schon doppelt sein sollte wegen des kommenden Winters. Noch eine bevorstehende Ausgabe. Die Ledervorrichtung mit Schiebetürchen davor hat in all den Jahren gereicht. Aber wenn man´s gemütlicher haben kann.
Nachdem der Grasteppich wieder richtig liegt, stellt sie nicht wie gewohnt das Tischchen drauf, sondern geht aus der Küche eine Stück Malerplane holen und legt es aus. Darauf stellt sie das Fahrrad auf den Ständer. Ganz schön schmutzig alles. Weiter einen Eimer mit Warmwasser füllen, Schwamm, Lappen und das Pflegeöl, das sie auch für die Nähmaschine benutzt. Sie nimmt noch das Fit mit raus. Wofür so ein Geschirrspülmittel nicht alles gut ist.
Sie reibt erst vorsichtig mit ein bisschen Küchenkrepp das Gröbste weg, dann mit dem nassen Schwamm überall. Schwer zwischen die Speichen zu kommen, aber muss sein. Mit dem Lappen alles trocken reiben: blitzt wieder. Am Gepäckträger und an den Schutzblechen die kleinen Rostflecke ölen und die Kette auch. Sie steht auf und tritt zurück. Alles super.
Sie pumpt die Reifen auf. Glücksache, das alles noch dicht ist.
Das Radel nimmt sie in die Küche, die Kater kommen mit rein, die Katzen raus in die Büsche.
Noch 40 min Zeit, also Jacke an und durch den Laden raus. Zum Glück hat die Jeans enge Hosenbeine, also keine Vorsorge nötig. Aber als sie aufsteigt kommt sie sich doch komisch vor. Bald macht sie Fahrt und ist rasch am Mühlgraben. Diesmal putzt die alte Wirtin gerade ihre Treppe.
Cheryl bittet um ein kleines Gespräch. Sie schauen sich abschätzend an, sind sich fremd.
Ich muss aber gleich auf den Markt Gemüse einkaufen.
So lange dauert es wohl nicht.
Worum geht es?
Um den Tanzsaal und die Flüchtlinge.
Hier im Nebenzimmer ist genug Platz für sie zum Essen. Sie kommen ja nicht alle auf einmal.
Ich möchte mich engagieren und helfen, die Misere mit dem Brand schnell vergessen zu machen: Schlafstätten für den kommenden Winter herrichten.
Ah! Die alte reicht ihr die abgearbeitete Hand. Mein Name ist Traub, Anna Traub.
Ich bin Cheryl Goldinger. Meine Oma überließ mir das Lädchen in der Heerstraße.
Kenn ich. Frau Goldinger ist tot? Mein Beileid. Hab ich nicht mitbekommen, aber von ihnen gehört. Sie malen Bilder. – Aber so viel Geld werden sie damit nicht verdienen. Haben sie eine Sammlung veranstaltet?
Hab ein wenig Geld und denke, dass es reicht, um zu helfen. Ein Architekt hat schon mal durch die Fenster gelugt. Groß ist der Saal ja und Toiletten sind auch da. Gibt es Schäden, die man erst beheben muss vor einer Nutzung?
Ich glaube, an einer Ecke ist das Dach leck und die Pissrinne in der Herrentoilette ist bemängelt worden von der Hygiene.
Das ist im Keller, ja? Muss also umgebaut werden. Es wird auch Duschen und so etwas geben müssen.
Aber Platz genug wäre. Ein Durchbruch zum früheren Weinkeller wär möglich, glaub ich. Den nutze ich seit dem Tod meines Mannes nicht mehr. Der Bierkeller war für meinen Umsatz immer groß genug.
Das sind gute Nachrichten, Frau Traub. Wann darf sich der Architekt denn das mal ansehen?
Also, wenn ich vom Markt zurück bin, sammeln sich meine Helfer bei mir in der Küche. Wenn er mit dem Auto kommt und draußen laut hupt, dann kriegen wir das mit. Die Bäcker und Fleischer mit ihren Spenden machen das auch so.
Sehr gut. Sie haben also im Prinzip nichts gegen eine Nutzung ihres Tanzsaales für die Flüchtlinge?
Wenn ich das nicht bezahlen soll, geht das in Ordnung. Mein Geld reicht grade für mich zum Leben, muss sehen, dass ich noch genug verdiene, für eine anständige Beerdigung. Irgendwann werd ich wohl meinem Gustav folgen.
Vielen Dank erst einmal, Frau Traub. Ich schicke den Architekten her, sobald er Zeit hat. Es eilt ja. Das Wetter kann sehr plötzlich umschlagen, Zelte sind jetzt ein übler Aufenthaltsort, besonders für Kinder.
So denke ich auch, Frau Goldinger. Ich finde es toll, dass sie sich auch um diese Menschen sorgen. Danke. Hat mich sehr gefreut, ihre Bekanntschaft zu machen. – Hier nennen mich übrigens alle Anna, ist so üblich bei der Wirtin.
Also dann auf Wiedersehen Anna. Falls sie Fragen haben, ich steh im Telefonbuch.
Jetzt aber zurück zum Laden. Cheryl muss ja öffnen, vielleicht kommt heute die Kundschaft, die sie als Malerin entdeckt.
Aber als sie während der Fahrt weiter denkt, will sie nicht berühmt werden, das wäre zu viel Stress. Sie hat sich an ihr beschauliches Leben in der Kleinstadt gewöhnt, möchte nichts ändern – außer einem Liebhaber oder Mann, aber mit getrennten Wohnungen. Auch wegen Finn möchte sie ihr Heim nicht aufgeben.
Sie schaudert innerlich ein wenig, ist das mit der gültigen christlichen Moral vereinbar? Moral hin, Moral her, was soll´s. Sie haben beide niemanden verletzt, sind frei und ungebunden. Nicht mal im alten Judentum könnte sie jemand deshalb steinigen. Sie kennt die Bibel noch ganz gut. Auch Oma Goldinger war der Meinung, dass dieses Wissen unverzichtbar sei. Ein Glaube hilft bei vielen Dingen zu leben. Klar, wenn der Geist zu umnebelt ist, um selbst Entscheidungen zu treffen, sie denkt an die Meinung von Karl Marx über die Religion und ihr Absterben.
In der heutigen Welt, wo religiöser Fanatismus wieder zur Kriegsführung missbraucht wird, scheint ihr das fast unmöglich, obwohl die Menschen in Deutschland kaum noch einen Gottesdienst besuchen. Falls sie nicht überhaupt wegen der Kirchensteuer längst ausgetreten sind. Zahle ich überhaupt welche? Ich glaube, das hat Oma noch für mich geregelt. Bin ja getauft und konfirmiert.
Cheryl ist am Laden angekommen und steigt vom Fahrrad, nestelt den Schlüssel aus der Umhängetasche und macht auf. Die Ladenklingel scheppert: Wollte sie nicht längst eine neue haben? Aber diese hier ist wie ein Vermächtnis von Omi. Bevor die nicht kaputt ist, bleibt sie dran.

Die herrlich verrückte Welt 9.

Sie blickten sich in die Augen. Beide erfüllte Glückseligkeit. Sie wussten es nicht zu deuten. Das Universum öffnete sich einen Augenblick und ließ sie die Verbundenheit mit allem Glück, aller Zufriedenheit, allem Stolz der Menschen guten Willens fühlen.
Sie waren satt. Ihr Frühstück beendet. Ein neuer Arbeitstag begann. Viel hatten sie noch vor sich. Träume konnten sich erfüllen. Wege führten von hier in eine noch unbekannte Zukunft. Im Moment gab es keine Einbahnstraße. Sie standen an einem Kreuzpunkt, jetzt galt es frische Pfade zu ebnen und zu gehen.
Cheryl war voller Tatendrang. Ruhelos stand sie auf, wollte das Kaffeegeschirr abräumen. Aber Finn löste ihre Finger von der Tasse und führte sie an seinen Mund. Zog sie an sich. Küsste zärtlich erst ihre Stirn, dann, als sie ihn zu sich herunterzog und küsste, umarmte er sie eng und hielt sie still an sich gepresst, als wolle er sie nie wieder loslassen. Und so war es auch. Sie erwiderte den Druck liebkosend, streichelte seine Wange.
He, du musst dich rasieren. Ist ja richtig hart, was da bei dir sprießt.
Meinst du?
Sie fühlten beide im gleichen Moment, was da außerdem hart wurde.
Sie lachten. Er etwas erschrocken laut. Sie leise glucksend.
Dann trennten sie sich voneinander. Er ergriff den Henkel der Kaffeekanne und sie begann, die Tassen zusammenzustellen.
Lass mich das allein machen, du musst dich rasieren gehen, bevor die ersten Kunden bei dir klingeln. Hier gibt´s kein Rasierzeug.
Meine Kunden nehmen auch einen Dreitagebart in Kauf.
Na, nu geh schon.
Wo habe ich meine Schlüssel? Müssten hier in der Hosentasche stecken bei der Brieftasche.
Vielleicht oben rausgefallen gestern Abend?
Ich gehe suchen.
Er steigt die Treppe hinauf und kommt kurz drauf schlüsselklappernd wieder.
Ein Haus verliert nichts, Oma Goldingers Spruch.
Hat dir außer dem Haus und Lädchen viele Sprüche hinterlassen.
Lebensweisheiten, immer gültige. Ein ganzes Vademekum.
Er sieht sie fragend an.
Na, ein Buch, ein Leitfaden, auf den man immer zurückgreifen kann im Gedächtnis.
Klasse! – Tschüss dann also.
Tschüss mein Lieber.
Er geht durch den Laden, in der Ladentür steckt schon der Schlüssel, sie folgt ihm, winkt kurz hinterher und schließt wieder ab. Schaut sich im Laden um wie in einer neuen Welt. Alles sieht irgendwie verändert aus. Nur, dass sich außer ihr selbst nichts verändert hat. Oder doch?
Cheryl spült das Geschirr, denkt an die Wirtin und den alten Tanzsaal, die weiß von allem noch nichts. Ich muss hin. Sie stellt das Geschirr zum Abtropfen und lässt es dort stehen.
Auf der Terrasse gibt es eine mit einem wetterfesten Grasteppich belegte Holzklappe, die sie jetzt freilegt. Man muss am eingelassenen Eisenring ziehen, dann lässt sich öffnen. Sie legt die schwere Klappe ganz nach hinten, sucht nach einem Holzkeil, den sie einlegt, damit niemand sie da unten einsperren kann. Dann steigt sie die schmale Leiter runter in den niedrigen Keller, wo sie früher die Kohlen hatten, jetzt nur noch einen Kartoffelvorrat für den Winter einlegen will. Von der Straße fällt wenig Licht durch die mit Drahtglas verschlossene, völlig verdreckte Luke herein, aber sie sieht, was sie sucht: Ihr Fahrrad. Es ist leicht. Ein altes Klapprad. Noch genug Luft auf den Reifen? Nee, natürlich nicht. Die Luftpumpe ist dran, also erst mal raufschaffen. Sie wuchtet es die steile Leiter hoch, die zum Glück nicht lang ist, denn der Keller ist gerade mal 180 cm hoch. Genug für kleine Leute, wie sie früher fast alle waren.
Leere Gläser müsste sie noch hochschaffen, jetzt sind preiswert Früchte auf dem Markt. Einkochzeit. Vitamine für den Winter. Die Kartoffelhorde muss auch mit Essigwasser geschrubbt werden, bevor sie die Erdäpfel einkellert. Die Arbeit macht man am besten an der frischen Luft. Wieviel Zeit hat sie jetzt noch? Reicht.
Sie lehnt das Fahrrad gegen die Wand und steigt wieder runter. Oh, fühlt sich nicht mehr ganz fest an unter den Füßen. Die Leiter muss eventuell erneuert werden. Statt Holz wird sie eine aus Leichtmetall kaufen und regelmäßig streichen müssen. Kellerluft ist aggressiv.
Sie nimmt einen Drahtkorb aus der Ecke und lädt Einmachgläser aus einem Regal, im Dunkel entgleitet ihr ein Glas und zerbricht.
Glück und Glas, wie leicht bricht das. Einer von Omas Texten.
Aber sie hat einen festen Handfeger und Blechschaufel irgendwo hier. Na bitte. Rasch aufkehren, bevor sie sich verletzen kann. Aber der Abfalleier steht oben. Kann ja mal ein Plasteimer zu diesem Zweck hier unten lassen, denkt sie und lässt die volle Schippe einfach stehen. Nee, lieber weiter ins Licht stellen, sonst trete ich noch mal rein.
Dann trägt sie den Korb mit den leeren Weckgläsern vor dem Bauch nach oben, stellt ihn seitlich ab und geht zurück. Die Kartoffelhorde lässt sich leicht auseinander nehmen. Rasch ist die auch oben, aber nicht ohne Hindernis: Eine Sprosse bricht unter ihr durch.
Mein Gott, bin ich so schwer!?
Ist bloß morsch, das Holz, ich achte doch auf mein Gewicht. Sie lacht froh und schiebt das Holz der Horde von der Luke weg, bevor sie raus steigt und die Leiter hochzieht. Sie muss ja wissen, wie lang die ist, um die neue im richtigen Winkel wieder anbringen zu können. Schiebt alles zur Seite und wuchtet den innen mit Blech verkleideten Lukendeckel hoch, um den Eingang wieder zu schließen. Trotzdem gibt es einen Knall, weil sie ihn nicht ganz bis zuletzt festhalten kann. Plötzlich stehen die Kater innen vor der Terrassentür und jammern. Die haben Angst, dass etwas passiert ist. Cheryl öffnet kurz die Tür, sie schnuppern in die kühle Morgenluft und gehen beruhigt Geschäfte erledigen in die Büsche am Zaun.

Die herrlich verrückte Welt 8.

Sie blickten sich in die Augen. Beide erfüllte Glückseligkeit. Sie wussten es nicht zu deuten. Das Universum öffnete sich einen Augenblick und ließ sie die Verbundenheit mit allem Glück, aller Zufriedenheit, allem Stolz der Menschen guten Willens fühlen.
Sie waren satt. Ihr Frühstück beendet. Ein neuer Arbeitstag begann. Viel hatten sie noch vor sich. Träume konnten sich erfüllen. Wege führten von hier in eine noch unbekannte Zukunft. Im Moment gab es keine Einbahnstraße. Sie standen an einem Kreuzpunkt, jetzt galt es frische Pfade zu ebnen und zu gehen.
Cheryl war voller Tatendrang. Ruhelos stand sie auf, wollte das Kaffeegeschirr abräumen. Aber Finn löste ihre Finger von der Tasse und führte sie an seinen Mund. Zog sie an sich. Küsste zärtlich erst ihre Stirn, dann, als sie ihn zu sich herunterzog und küsste, umarmte er sie eng und hielt sie still an sich gepresst, als wolle er sie nie wieder loslassen. Und so war es auch. Sie erwiderte den Druck liebkosend, streichelte seine Wange.
He, du musst dich rasieren. Ist ja richtig hart, was da bei dir sprießt.
Meinst du?
Sie fühlten beide im gleichen Moment, was da außerdem hart wurde.
Sie lachten. Er etwas erschrocken laut. Sie leise glucksend.
Dann trennten sie sich voneinander. Er ergriff den Henkel der Kaffeekanne und sie begann, die Tassen zusammenzustellen.
Lass mich das allein machen, du musst dich rasieren gehen, bevor die ersten Kunden bei dir klingeln. Hier gibt´s kein Rasierzeug.
Meine Kunden nehmen auch einen Dreitagebart in Kauf.
Na, nu geh schon.
Wo habe ich meine Schlüssel? Müssten hier in der Hosentasche stecken bei der Brieftasche.
Vielleicht oben rausgefallen gestern Abend?
Ich gehe suchen.
Er steigt die Treppe hinauf und kommt kurz drauf schlüsselklappernd wieder.
Ein Haus verliert nichts, Oma Goldingers Spruch.
Hat dir außer dem Haus und Lädchen viele Sprüche hinterlassen.
Lebensweisheiten, immer gültige. Ein ganzes Vademekum.
Er sieht sie fragend an.
Na, ein Buch, ein Leitfaden, auf den man immer zurückgreifen kann im Gedächtnis.
Klasse! – Tschüss dann also.
Tschüss mein Lieber.
Er geht durch den Laden, in der Ladentür steckt schon der Schlüssel, sie folgt ihm, winkt kurz hinterher und schließt wieder ab. Schaut sich im Laden um wie in einer neuen Welt. Alles sieht irgendwie verändert aus. Nur, dass sich außer ihr selbst nichts verändert hat. Oder doch?
Cheryl spült das Geschirr, denkt an die Wirtin und den alten Tanzsaal, die weiß von allem noch nichts. Ich muss hin. Sie stellt das Geschirr zum Abtropfen und lässt es dort stehen.
Auf der Terrasse gibt es eine mit einem wetterfesten Grasteppich belegte Holzklappe, die sie jetzt freilegt. Man muss am eingelassenen Eisenring ziehen, dann lässt sich öffnen. Sie legt die schwere Klappe ganz nach hinten, sucht nach einem Holzkeil, den sie einlegt, damit niemand sie da unten einsperren kann. Dann steigt sie die schmale Leiter runter in den niedrigen Keller, wo sie früher die Kohlen hatten, jetzt nur noch einen Kartoffelvorrat für den Winter einlegen will. Von der Straße fällt wenig Licht durch die mit Drahtglas verschlossene, völlig verdreckte Luke herein, aber sie sieht, was sie sucht: Ihr Fahrrad. Es ist leicht. Ein altes Klapprad. Noch genug Luft auf den Reifen? Nee, natürlich nicht. Die Luftpumpe ist dran, also erst mal raufschaffen. Sie wuchtet es die steile Leiter hoch, die zum Glück nicht lang ist, denn der Keller ist gerade mal 180 cm hoch. Genug für kleine Leute, wie sie früher fast alle waren.
Leere Gläser müsste sie noch hochschaffen, jetzt sind preiswert Früchte auf dem Markt. Einkochzeit. Vitamine für den Winter. Die Kartoffelhorde muss auch mit Essigwasser geschrubbt werden, bevor sie die Erdäpfel einkellert. Die Arbeit macht man am besten an der frischen Luft. Wieviel Zeit hat sie jetzt noch? Reicht.
Sie lehnt das Fahrrad gegen die Wand und steigt wieder runter. Oh, fühlt sich nicht mehr ganz fest an unter den Füßen. Die Leiter muss eventuell erneuert werden. Statt Holz wird sie eine aus Leichtmetall kaufen und regelmäßig streichen müssen. Kellerluft ist aggressiv.
Sie nimmt einen Drahtkorb aus der Ecke und lädt Einmachgläser aus einem Regal, im Dunkel entgleitet ihr ein Glas und zerbricht.
Glück und Glas, wie leicht bricht das. Einer von Omas Texten.
Aber sie hat einen festen Handfeger und Blechschaufel irgendwo hier. Na bitte. Rasch aufkehren, bevor sie sich verletzen kann. Aber der Abfalleier steht oben. Kann ja mal ein Plasteimer zu diesem Zweck hier unten lassen, denkt sie und lässt die volle Schippe einfach stehen. Nee, lieber weiter ins Licht stellen, sonst trete ich noch mal rein.
Dann trägt sie den Korb mit den leeren Weckgläsern vor dem Bauch nach oben, stellt ihn seitlich ab und geht zurück. Die Kartoffelhorde lässt sich leicht auseinander nehmen. Rasch ist die auch oben, aber nicht ohne Hindernis: Eine Sprosse bricht unter ihr durch.
Mein Gott, bin ich so schwer!?
Ist bloß morsch, das Holz, ich achte doch auf mein Gewicht. Sie lacht froh und schiebt das Holz der Horde von der Luke weg, bevor sie raus steigt und die Leiter hochzieht. Sie muss ja wissen, wie lang die ist, um die neue im richtigen Winkel wieder anbringen zu können. Schiebt alles zur Seite und wuchtet den innen mit Blech verkleideten Lukendeckel hoch, um den Eingang wieder zu schließen. Trotzdem gibt es einen Knall, weil sie ihn nicht ganz bis zuletzt festhalten kann. Plötzlich stehen die Kater innen vor der Terrassentür und jammern. Die haben Angst, dass etwas passiert ist. Cheryl öffnet kurz die Tür, sie schnuppern in die kühle Morgenluft und gehen beruhigt Geschäfte erledigen in die Büsche am Zaun.

Die herrlich verrückte Welt 8.

Gelächter und Geknutsche folgen. Sie schaut auf die Leuchtziffern ihres Weckers, er folgt ihrem Blick. Sie kuscheln noch ein wenig, dann schiebt Cheryl ihn aus ihrem Bett. Komm duschen!
Ist das ein Befehl?
Ich kann auch zuerst allein gehen.
Besser. Dein Bett riecht so gut.
Lass dich nicht von den Katern erwischen!
Och, die mögen mich, glaub ich. Die fühlen dein Wohlsein.
Scherzkeks!
Nee, im Ernst. Die Katzen scheinen mit dir zu fühlen. Schon als ich das allererste Mal diese Treppen hoch kam.
Als sie wieder nach oben kommt, sitzen Circe und Lilly neben Finn auf dem Bettrand.
Lässt du sie bei dir im Bett schlafen?
Manchmal, wenn mir kalt ist, aber nicht regelmäßig. Meistens kommen die, wenn ich Stress hatte, von ganz allein zum Schmusen.
Und wie deutest du es, dass sie zu mir kamen, sobald du gegangen bist?
Die wollen dich auch genießen!
Tse, tse! – Da gibt’s noch was, dass du wissen sollst. Erinnere mich bitte später.
Finn geht duschen, Cheryl öffnet das Fenster und legt die Decke über den Bettgiebel zum lüften.
Danach ist Frühstück in der Küche angesagt. Sie fährt auf: Butter, schwarzen Johannisbeer-Gelee, Bienenhonig, Käse und Joghurt, frischen Schnittlauch, rote frische Paprika, Bohnenkaffe und Kondensmilch, Zucker – was vergessen? Sie macht altbackene Brötchen nass und legt sie zum Aufbacken in die Röhre des transportablen Öfchens.
Die Handtücher hast du mir extra hingelegt, danke!
Finns dunkles Haar ist noch feucht.
Magst du ein Frühstücksei? Wie weich?
Alles Eiweiß fest, nur das Gelbe flüssig.
So mag ich´s auch.
Cheryl nimmt die Brötchen mit einem Geschirrtuch aus der Röhre und legt sie in ein Körbchen, deckt sie mit dem Tuch zu. Sie setzen sich, da pfeift schon der Eierkocher und sie springt wieder auf und schreckt die Eier ab, stellt sie in die blauen Eierbecher mit den weißen Punkten. Sie liebt das blauweiße Steinzeug, alles passt zueinander. Keine Plastikeierlöffel, sondern Horn noch aus Oma Goldingers Haushaltsbeständen.
Du wolltest mir noch was erzählen.
Ja. Ich hoffe, dass du dich in meine Situation nach dem Tod meiner Frau ein wenig rein denken kannst. Ich bin monatelang im „Westend“ versackt vor Kummer. Mehrmals fand ich mich morgens in der Dachkammer der Kellnerin Elli. Der Mann war Diabetiker und schon länger nicht mehr für Elli im Bett da. Sie hat es auszunutzen gewusst, dass ich schon mindestens ein Jahr nicht mehr mit einer Frau zusammen war.
Das ist doch nicht weiter schlimm.
Ellen Scheithauer ist 60 Jahre alt, ihr Mann war 6 Jahre älter.
Ach! Und das konntest du?
Zuerst war ich so voll, dass ich früh nix mehr wusste. Sie war auch viel aktiver im Bett, als meine Frau es je fertiggebracht hätte.
Hat dir also Freude bereitet.
Kann man so sagen. – Später schämte ich mich und mied das „Westend“. Da stand sie nachts vor meiner Terrassentür und hämmerte an mein Schlafzimmerfenster. Wollte nicht, dass die Nachbarn aufmerksam werden, bei denen brannte noch Licht, also ließ ich sie rein. Sie bettelte mich an, doch ein bisschen lieb zu ihr zu sein. Es fiel mir nicht schwer, war schon wieder über einen Monat her. Aber ich wollte das nicht als Dauerzustand und zeigte ihr im Internetshop diverses Spielzeug für Frauen. Sie suchte sich etwas heraus und ich bestellte und zahlte. Als sie es abholte kam es wieder zu Sex. Ich schwor mir, das letzte Mal, baute einen Bewegungsmelder an, der sofort die ganze Terrasse mit Licht überflutete, wenn jemand sie betrat. Dann kam sie nicht wieder, ich dachte, dass sie sich mit dem Spielzeug vergnügt.
Und, hat sie?
Weiß ich nicht, hab nicht nachgefragt. Kurz drauf ging sie in schwarz, ihr Mann war gestorben, ich muss es in der Zeitung übersehen haben. Als ich ihr mein Beileid aussprach, erzählte sie mir, dass sie nicht mehr kellnert, sondern im Pfarrhaus für Pater Benedikt und seine Gäste kocht und das Haus putzt.
Ich bin da gut versorgt, meinte sie noch mit einem Augenzwinkern. Ich wusste, dass sie zu Bruder Benedikt immer beichten gegangen war, aber sich die Untreue nicht hatte verkneifen können. – Das war`s.
Hatte sie sich nicht in dich verliebt?
Offensichtlich mehr in meinen „Schniddelwutz“, wie sie das männliche Glied in ihrem saarländischen Dialekt nannte.
Cheryl lachte laut: Also das Wort habe ich noch nie gehört. Aber ich kenne die Verehrung des Lingams aus der Kunstgeschichte. – Weiß irgendwer davon?
Schon möglich, dass die Stammgäste vom „Westend“ etwas mitgekriegt hatten. Aber angesprochen hat mich darauf nie jemand, hab auch kein Geraune hinterbracht bekommen. Das mit dem Rumerzählen klappt hier eigentlich sonst immer. Schon Dörte vom „Heißen Ofen“ hätte was gesagt, wenn es bei ihr angekommen wäre. „Westend“ liegt zum Glück am anderen Ende der Stadt draußen.
Es wäre dir peinlich. Klar. Mir auch.
Du bist neu für mich. Eine völlig andere Erfahrung. Habe ich so noch nie erlebt. Es ist eigentlich unfassbar: So plötzlich. Überwältigende Gefühle.
Genau. So geht es mir mit dir. Hast mich einfach mitgerissen. Warm. Innig. Trotzdem vertraue ich dir. Obwohl mein Verstand sagt, dass es nicht sein kann, denn wo sind die Fakten? Du hast mich in der Hand – einerseits ein gutes Gefühl, denn deine Hand ist warm und tut mir gut – andererseits weiß ich, dass die Welt nicht gut ist zur Zeit, bei all dem, was geschieht an Machtgerangel, Kriegen, Vertreibungen, Toden …
Ja. Warum sollte es gerade uns gut gehen? Das verblüfft mich auch. Du drückst dich nur besser aus.

Die herrlich verrückte Welt 7.

Wenn ich nicht mehr zeigen muss. Sie lacht und zieht ihn nach oben und bis ganz unters Dach. Die Treppe ist so schmal, dass sie dann nicht mehr nebeneinander gehen können. Oben muss sie erst die vorgestrichene Holzplatte wegnehmen, bevor sie das Bild von der Erde an der Wand holt und auf die Staffelei stellt.
Sie schauen beide stumm darauf, jeder mit den eigenen Gedanken beschäftigt.
Ich darf sie nicht überrennen!
Er soll meine plötzliche Geilheit möglichst nicht merken. Das mögen vernünftige Leute nicht.
Gefällt es dir?
Was?
Na das Bild.
Oh, ja. Es strahlt Freude aus und ist witzig. Da, die blaue Perücke an der Gardinenstange. Das ist die vom Clown und – überhaupt alles.
Danke. Du bist einfach fantastisch. Dachte kurz, dass deine Gedanken weit fort sind.
Sie sind ganz bei dir. Deine Nähe … Ist einfach schön.
Eine Etage tiefer: Du schläfst hier. Nicht mal einen Fernseher hast.
Brauch ich nicht, gucke manchmal Voranzeigen im Netz, ist ja meist nicht mal spannend. Wirkliches Leben ist nicht so langweilig wie die ewigen Dreiecksgeschichten und Eifersuchtsszenen. Neulich das ältere Pärchen, den Film hab ich mir dann doch runtergeladen.
Wo der erst so frech ist und sich später entschuldigt?
Sie nickt.
Hat mir auch gefallen. – Es fällt mir schwer, jetzt zu gehen, muss wohl sein.
Warum eigentlich? Fragt sie sich.
Eigentlich sind wir doch erwachsen.
Wir sind doch erwachsen. Sie sprachen es im Chor.
Ganz leise wendet er sich vom Treppenabgang zurück und sie fallen sich lachend in die Arme. Es geht ganz rasch und leicht, sie fühlen sich miteinander wohl.
Ach, im ersten Rausch –denkt sie noch. Dann kann sie nur noch fühlen…

Es ist immer noch dunkel, da streichelt er schon wieder ihren Arm, dann die Brüste und den Bauch. Sie ist sofort hellwach. Ihr Mund sucht seinen. Sie versinken erneut ineinander, stöhnen, ergießen sich.
Du bist so herrlich weich. – Und du bist so muskulös und schlank. Andere bäucheln schon heftig in deinem Alter.
Plötzlich denkt er, dass er ihr ein Bäuchlein machen möchte und lacht.
Lachste mich aus?
Nein.
Mal ehrlich, warum lachst du?
Ich dachte dran, dass wir kein Kondom benutzt haben.
Finn, hast du Kinder?
Das erzähle ich ein andermal. Passt jetzt nicht her.
Aber du hast an Kinder gedacht?
Möchtest du keine?
Im Garten ist noch der Sandkasten, in dem ich früher gespielt hab, wenn ich hier war. Ist nur abgedeckt, weil ich es nicht übers Herz brachte, ihn abzubauen.
Wollen wir den bevölkern?
Du hast Nerven, und das in der ersten Nacht!

Die herrlich verrückte Welt 7.

Ich mag sehr gern Kartoffelpuffer.
Ja, die mache ich wie … also aus gehobelten Kartoffeln statt geriebenen.
So? Muss ich mal ausprobieren.
Komm mich morgen Abend besuchen, dann zeige ich es dir!
Du bist lieb.
Du auch, und schön, bisschen sanft und herzlich.
Na, da täusche dich nur nicht, wenn mir was gegen den Strich geht, kann ich recht hitzig sein.
Sie lachen und er legt seine Hand auf ihre auf dem Tisch.
Nachtragend bist du aber nicht, falls jemand Fehler macht?
Kommt doch drauf an, worum es geht. Manches ist total tabu und wird geahndet.
Das wär zum Beispiel.
Ätzende Rumnörgelei, anhaltender, beleidigender Zynismus, uneinsichtige Verbohrtheit; Dummheit im Allgemeinen ist oft unerträglich.
Aber nachtragend bist du nicht.
Kommt drauf an.
Worauf?
Na, ob derjenige einsichtig ist, sich ändert.
Zynisch sind wir doch alle manchmal, oder?
Glaub ich nicht.
Ist Snobismus nicht schlimmer?
Kommt auch drauf an. Mancher Snob entpuppt sich als Witzbold, als interessanter Erzähler oder hat viel Charme. Das gleicht schnell aus, wenn man ihn näher kennt; während weibliche Snobs oft nur auf Äußerlichkeiten bedacht, dämlich im wahrsten Sinne des Wortes oder herzlos sind.
Finn lacht. Ganz schön hart mit dem eigenen Gender.
Fakeprofiles, Trollings und Sockenpuppen im Internet sind auch manchmal Frauen. Die tummeln sich unter Männermaske im Netz und machen anderen das Leben zur Hölle mit ihrer Falschheit. Sind wie Napoleon, wie zu klein Geratene.
Gehst du viel ins Internet?
Ich hab eigentlich immer viel zu tun. Heute Abend wäre ich vielleicht auf meine Plattformen gucken gegangen oder in abonnierte Blogs. Gehst du nicht rein?
Doch, aber meist suche ich auf eBay abgelagertes Holz zum Schreinern, oder Grünholz zum Schnitzen und nacharbeiten für Kunden. Auch Kundschaft kommt manchmal über meine Präsens rein, Stühle aufarbeiten und so. Politik hör ich lieber im Radio oder Fernsehen. Ist eh meist nicht so super, was passiert. Die überschütten die Menschen mit Katastrophen und tun nichts dagegen und für die Menschen wenig.
So siehst du also die Welt? Ich geh in meinen Garten und lebe mit meinen verschmusten Katzen. Dumme rennen, kluge warten, Weise gehen in den Garten. Nicht von mir, der Spruch.
Goldi hat ein goldiges Herz glaub ich. Finn sah sie lächelnd an, sie konnte nur lachen: Wie du meinst.
Dirk, komm mal, ich möchte zahlen. Dirk murrt leise, nimmt wieder die Skatkarten und steckt sie in die Tasche. Zeig mal, was auf dem Deckel steht.
Hast mir keinen gemacht. Kleines Schnitzel mit Pommes frites und Salat, Wiener mit Salat, eine Weinschorle und ein großes Bier.
Guck an, sie hat doch alle beide gegessen.
War mir ein Vergnügen, hatte lange keine so leckeren.
Siehste. Erst kosten muss man.
Finn zahlt und sie gehen hinunter, wo sich die Tabakschwaden inzwischen etwas verzogen haben. Eine weiße, tragende Pudeldame kommt ihnen entgegen.
Na nu, hattest du sie nicht kastrieren lassen Dörte?
Doch, dieser Arzt muss das noch mal kostenlos machen, hinterher. Das war Kobold, wusste nicht, dass das schon so junge Hunde bei ’ner älteren Hündin fertigbringen. Alle lachen.
Vielen Dank. Das Essen war gut. Sie hat im Gespräch beide Würstel gegessen.
Na, dann fühlt sie sich in deiner Gesellschaft wohl. Dörte zwinkert den beiden zu und sie verabschieden sich.
Cheryl hängt sich bei Finn ein: Gar nicht so kalt, wie ich dachte.
Ich hätte dich aber gerne gewärmt. Finn drückt ihren Arm an sich und es geht ihr wie elektrischer Strom durch und durch. Sie drückt zurück.
Sie gehen in Richtung Laden und sind schnell da.
Dürfte ich vielleicht dein neues Bild ansehen, ich wollte nicht unhöflich sein und ohne Erlaubnis die Verhüllung abnehmen.
Cheryl gähnt. Muss doch nicht heute sein.
Aber ich bin doch jetzt erst recht neugierig.
Na ich meine, nachdem wir einander so einiges erzählt haben. Ham wa doch?
Ja schon… Na komm.
Cheryl sperrt die Ladentür auf und lässt ihn rein, macht wieder zu und das Licht kurz an, während sie durchgehen. Aber kaum ist er drin, zieht er sie an sich, küsst sie zart auf die Stirn, streichelt ihre Wange und sieht ihr voll ins Gesicht.
Sie lächelt, nimmt seinen Kopf zwischen die Hände, zieht ihn ein Stückchen runter und nimmt sachte seinen Mund. Er macht einen herzhaften Kuss daraus.
Ich will dich nicht überfallen. Zeig mir dein Bild bitte.

Die herrlich verrückte Welt 6.

Im Kino gibt`s keinen so tollen Film. Möchte dich mit einer Freundin von Friedel, meiner vor zwei Jahren verstorbenen Frau bekannt machen. Sie hat eine kleine Kneipe mit Pension hier in der Nähe, den „Heißen Ofen“.
Ach, hab ich schon gelesen so ein Hinweis-Schild.
Er geht ein bisschen steif neben ihr, gestern war er doch locker? Aber sie ist auch aufgeregt: Jetzt werde ich mit Friedel verglichen, sagte sie sich.
Aus dem Gastraum klang Schunkelmusik bis auf die Straße, als sie eintraten, qualmte der Tabackdunst nur so heraus. Igittigitt. Ich mag in keine Räucherhöhle…
Nee, im ersten Stock ist das Frühstückszimmer, da kann man nett essen.
Hallo Dörte, hallo Klaus. Das ist Cheryl Goldinger, ich werde für sie arbeiten. Angenehm. Ein kleines Schnitzel mit Pommes und Salat?
Ja.
Und was möchtest du, Goldi?
Die Wirtin grinst, als er Cheryl so nennt.
Eine Wiener und Salat würden mir jetzt schmecken.
Wiener sind immer ein Paar.
Ist nicht so schlimm, im Notfall nehm ich die zweite für meine Katzen mit.
Sie steigen in den ersten Stock. Schon, als beide auf der Treppe sind, fragt Dörte: Wie immer ein Pils? Und für die Dame?
Eine Weißweinschorle bitte.
Okay.
Der Frühstücksraum ist hübsch eingerichtet mit Blumen vor den Fenstern und Sträußchen auf den Tischen. Finn geht an einen größeren besetzten Tisch und klopft auf das Holz: ´n Abend.
Die Männer spielen Skat, eine Frau daneben rückt zur Seite: Auf der Bank ist noch Platz. Finn schon im Fortgehen: Danke, wir setzen uns lieber ans Fenster.
Cheryl ist mit dem Fensterplatz sehr zufrieden und nimmt den Stuhl, auf dem sie den anderen den Rücken zudreht. Möchte nicht so gern, dass jemand ihr Gesicht studiert.
Der mit den Locken ist Dörtes Mann, die anderen sind aus dem Ort bis auf den mit der Brille, der zählt zurzeit Waldtiere. Die Behörden wollen wissen, ob sich wirklich schon ein Wolf hier rumtreibt wegen der Ziegen und Schafe auf den Wiesen, und wegen der Schmusekarnickel im Kleingartenverein nahe am Waldrand.
Wenn genug kleine Säugetiere da sind, geht der nicht über die Zäune oder an Ställe.
Sagt der behördliche Zähler auch. Sogar einen Waschbären soll ein Wolf weiter im Osten von hier erlegt haben. Sie haben den schönen Schwanz und andre Fellreste gefunden.
Aber Vögel werden von den Wölfen auch gejagt, Eulen, die sich am Tage irgendwo erreichbar hinsetzen und doch nur bei Nacht gut sehen.
Eine Klingel ertönt. Bier und Weinschorle stehen im Aufzug. Der Wirt steht auf und serviert sie den beiden, geht aber sofort zu seinen Karten zurück. Verflixt, wer hat mein Kreuz-As geklaut? Gelächter am Tisch: Suchen!
Die amüsieren sich immer, wenn Dirk servieren muss. Aber keiner nimmt übel. Es ist ja Spiel und geht nie um viel Geld, nur Geldstücke, die in ein Glas auf dem Tisch geworfen werden müssen, vor jedem Spiel und wenn einer flucht oder ein fieses Wort benutzt.
Kannst du Skat spielen, Goldi?
Ich verliere immer, darum lass ich`s.
Es klingelt schon wieder. Diesmal nimmt Dirk sein Blatt mit, steckt es einfach in die Hosentasche, nimmt dann das kleine Tablett und kommt mit Schnitzel, Würstchen und Salat an den Tisch. Was soll das Tütchen, lag mit drin?
Sicher für mich, wenn ich das zweite Würstchen für die Katzen mitnehmen möchte.
Aha.
Du wirst doch so zwei kleine Wienerle schaffen, ulkt Finn.
Will nicht noch mehr zunehmen, bin rund genug.
Meinetwegen könntest du zum Kugeln sein, du würdest mir trotzdem gefallen.
Danke, der Herr! Doch dann sind Zucker und Fettleibigkeit kein Vergnügen. Ab und zu möchte ich nämlich Schokolade genießen oder Eis mit Schlagsahne. Darum ist es besser, abends weniger zu futtern.
Das ist gut überlegt. Guten.
Gleichfalls guten Appetit.
War deine Frau krank, wenn ich das fragen darf?
Brustkrebs, zu spät entdeckt, warn schon viele Metastasen da.
Krebs, ein furchtbarer Tod. Meine Mutter starb daran, ein Jahr später Vater an Herzinfarkt. Er konnte nicht ohne sie leben nach über 40 Jahren Ehe.
Traurig. Aber du bist noch keine 40?
Neugierig eh!
Gut, eine Dame fragt man nicht nach dem Alter. Ich bin jetzt 39, meine Frau war auch erst so alt. Wir gingen gemeinsam zur Schule. Friedels Großmutter ist in gleicher Weise gestorben.
Ja, man sagt, dass es sich eher in die übernächste Generation vererbt. Das lässt mir Chancen. Außerdem gehe ich mehr nach den Goldingers, im Aussehen und auch in manchen anderen Anlagen. Oma Goldinger sagte, ich sei robuster als meine Mom und nicht so zartgliedrig.
Aber ziemlich klein biste, wie ich festgestellt habe.
Omas ältere Schwester ist so klein und schon 93, hat wie ich immer gesund gelebt, nur manchmal trinkt sie gern einen Likör. Sie lebt seit 14 Jahren im Heim „Am Krähenberg“.
Manchmal bestelle ich mein Essen dort. Ist immer was los im Speisesaal. Aber jetzt müssen einige gefüttert werden. Da sehe ich nicht gern zu, viele Erinnerungen. Hab inzwischen ganz gut kochen gelernt, nicht nur Pommes frites und Schnitzel, Rumpsteak und Eierkuchen.

Die herrlich verrückte Welt 5.

Sie guckt noch rasch in den Laden. Alles fest zu? Die Heizung kann über Nacht doch ein wenig wieder runter, wird sie morgen früh etwas höher drehen, falls es kälter wird. Wie wäre es denn mit Solarzellen auf dem Dach? Öl ist langsam keine akzeptable Heizmethode mehr. Aber Großmutter hat vor dreißig Jahren mit Asbest decken lassen, die Entsorgung würde ein teurer Spaß und mit Ziegeln muss das Dach sein, wenn da Arbeiter Solarzellen anbringen sollen. Muss soundso runter, das Asbest, die gesetzlich eingeräumte Zeit dafür ist bald abgelaufen. Sie hätte einen Kredit aufnehmen müssen für das alles. Könnte sie ja immer noch, dann merkt so schnell keiner in der Straße von dem Lottogewinn, was ihr lieber wäre. Auch wegen der Partnersuche, denn da steht oft nicht mehr Liebe, sondern Geld im Vordergrund. Das war in der bürgerlichen Gesellschaft schon immer so. Doch wenn man wirklich Liebe möchte, darf frau nicht ans Heiraten denken, wenn sie Geld hat. Nun, bei ihren vielen Vorhaben wird`s bald versiegen.
Beim Durchgang durch die Küche beginnt Circe leise schnurrend an ihren Beinen zu reiben und zu betteln. Hat sie sich nicht satt gefressen? Will sicher nur Leckerlis. Wie kommt sie überhaupt die Treppe runter, das macht sie doch sonst nicht so gerne, weil hinauf steigen so viel Kraft kostet.
Cheryl nimmt einige Leckerlis aus einer versteckten Tüte, wartet, bis die Katze gefressen hat und nimmt sie dann auf dem Arm mit nach oben in ihr Bett. Dann ist sie rasch eingeschlafen.

Erfrischt wacht sie vom Telefonklingeln auf. Finn Fuchsbuckel ist dran. Wollte einen schönen guten Morgen wünschen. Hast du gut geschlafen?
Na klar. Und du?
Geht. Hab wirres Zeug geträumt. Erst von meiner verstorbenen Frau, dann von Liebe.
Kann ich verstehen. Sehnsucht nimmt man mit in die Träume.
Stille am anderen Ende der Leitung.
Hab ich was Falsches gesagt?
Nee, absolut nicht. Wundere mich nur, dachte ja nicht, dass du so was sofort verstehst.
Sie lachen. Auch sein Lachen ist warm.
Viel Arbeit heute?
Mir wird nie langweilig.
Mir auch nicht, beschäftige mich gern mit allem Möglichen.
DAS konnte ich sehen. Apropos sehen. Wollen wir nicht mal gemeinsam ins Kino gehen oder essen?
Ist das eine Einladung?
Natürlich, möchte dich eben schnell wieder sehen, nicht erst, wenn die Zeichnung fertig ist.
Das freut mich echt.
Heute Abend?
Er hat´s aber eilig, der liebe Finn. Wie lange mag seine Frau wohl schon tot sein? Wenn er noch von ihr träumt, muss er sie geliebt haben. Wie lange trauert man in diesem Alter?
Sieben Uhr vorm Laden?
Es ist ihr recht und sie freut sich. Nur keine übertriebenen Hoffnungen mahnt sie sich selbst, das wäre Fake.

Sieben Uhr tritt Cheryl aus dem Laden. Finn gibt ihr wieder seine wärmende Hand und drückt die ihre kraftvoll.
He, ich bin nicht aus Holz.
`tschuldigung, sollte nur herzlich sein.
Sie küsst ihn auf die Wange. Schon gut, aus Zucker bin ich auch nicht.

Die herrlich verrückte Welt 4.

Wieviel?
Weiß ich doch nicht.
Also das könnte teuer werden. Dein Limit?
Dreißig Eier.
Sie gibt ihm fünfzig und lässt ihn im Quittungsblock unterschreiben.
Aber keinen Wermut dafür kaufen.
Er seufzt. Deine Menschenkenntnis ist erschreckend, meine Schöne.
Sie grinsen sich an. Schade, dass ich dich nicht vor meiner Frau kannte.
Geschenkt. Hätte und könnte, aber nicht mit mir.
Jetzt bist du gnadenlos.
Ich les deinen Schriebs. Ist das noch nicht genug?
Haste auch wieder recht.

Als er weg ist, kommt schon Herr Dillschneider. sie erkennt in ihm auch einen Kunden.
Cheryl schließt den Laden ab. Kommt eh keiner mehr. Sie gehen gleich nach oben. Das Kochen kann sie sich heute sparen und Obst- oder Möhrensaft trinken, das hat genug Kalorien.
Aber jetzt schießt Kater Sartre aufgebracht auf den Fremden zu und Cheryl beruhigt ihn sanft. Mein Beschützer!
Oben schaut sich Dillgarten um. Ihr Atelier, soso. Die Lage ist gut, oder etwa drüben zur Sonnenseite?
Nee, hier.
Er sieht auf die verhüllte Staffelei. Darf ich? Na, muss nicht sein, würde mich aber interessieren.
Sie reden über das Vorhaben hier, dann über den Tanzsaal.
Muss ich mir auch erst ansehen.
Bevor sie treppab gehen, zieht sie doch noch das Laken vom feuchten Bild.
Oh, ihre Katzen und ein Clown. Schöne, kräftige Farbgebung. Sollten Sie nicht weiter malen, so unpräzise ist wunderbar.
Meinen sie?
Aufmerksam betrachtet sie ihr Bild, hängt es dann wieder zu. Sartré hat auf der Treppe gewacht und springt nun abwärts. Cheryl lobt ihn und streichelt. Er reibt sich an ihren Beinen.
Haben sie schon Vorstellungen über die Art des Materials?
Herr Fuchsbuckel hat Metallrahmen für das Glas vorgeschlagen.
Dillgarten nickt. Der weiß, was geht.
Sie verabschieden sich schon fast, da meint er, wenn sie Zeit habe, könnten sie zum Tanzsaal fahren, sein Auto steht um die Ecke.
Weil Cheryl es auch gern genauer ansehen würde, holt sie sich ein Getränk und steigt ein. Ist noch mehr als eine halbe Stunde Zeit. Aber die Gastwirtin ist nicht zu Hause, komisch. Kocht sie erst abends für die Leute?
Dillgarten bringt sie zurück, nachdem sie beide von außen bisschen rumgeguckt haben.
Im Laden ist es kühl. Sie dreht die Heizung etwas höher. Jetzt muss ich ja nicht mehr so eisern sparen, denkt sie froh.

Am Abend klingelt es unten. Cheryl schaut aus dem Wohnzimmerfenster auf die Straße. Sie fragt ins Dunkle nach dem Begehr. Es ist Klaus Korbmachers Frau, mein Gott! Bin gleich unten.
Klaudia Korbmacher fällt ihr beinahe um den Hals, sie hat Tränen in den Augen, möchte sich für das geliehene Gardinengeld bedanken und es zurückgeben. Cheryl bittet sie im Laden auf das Sofa und holt den Hocker hinter dem Kassenpult für sich.
Klaudia kann sich nicht lassen vor Freude, hält das Geldausleihen von Klaus für einen Liebesbeweis, braucht aber erst mal keine neuen Gardinen, will sie reparieren. Wenn Kobold älter und vernünftiger ist, hat sie noch schöne Spitzengardinen von ihrer Mutter, die würden gut passen.
Cheryl nimmt das Geld und zerreißt die Quittung im Beisein Klaudias. Die überschwängliche Dankbarkeit ist ihr anrüchig, aber Menschen können sich ändern, wenn sie wollen, denkt sie, und verabschiedet sich freundlich.
Sie steigt noch einmal zum Atelier hoch und betrachtet ihr Bild gründlich, dann stellt sie es zum Trocknen mit der Vorderseite zur Wand. Damals im Studium hat sie gelernt: Man darf nichts tot malen. Dem Betrachter muss Vorstellungsspielraum gewährt sein. Sie will es später noch einmal bei Tageslicht ansehen.
Cheryl stellt eine neue, abgetrocknete Holzplatte kleineren Formats auf die Staffelei und grundiert mit raschen Gesten. Ein neues Bild spukt in ihrem Kopf herum, ein Männerkopf mit blauen Libellenaugen. Sie denkt mit Wärme an Finn, freut sich auf seinen nächsten Besuch. Sie beginnt zu trällern. Wie heißt bloß der Text zu dieser Melodie mit dem schönen Rhythmus?
An Klaudias Besuch denkt sie mit viel Sympathie. Zwar nervt die offensichtliche Verliebtheit von Klaus in sie oft ein wenig, doch sie findet, er ist ein guter Kerl. Ihre erste große Liebe war ein verheirateter Mann mit sinnlicher Ausstrahlung und ethischen Grundsätzen. Heute ist sie froh, dass es platonisch geblieben ist, obwohl die Abweisung einen schmerzhaften Abdruck in ihr hinterlassen hat. Trotz zeitlichem und räumlichem Abstand unvergessen. Sie wünscht Klaudia und Klaus heute ganz verträumt eine schöne Liebesnacht. Es würde sie freuen, wenn sein Leben ein wenig ruhiger würde, obgleich sie ahnt, wie produktiv eine Sehnsucht machen kann. Schließlich ist sie eine empfindsame Frau mit Träumen.
Ach, sie hat ja seinen Entwurf noch nicht gelesen. Morgen wird er fragen kommen. Sie legt sich ins Bett, beginnt zu lesen und schläft darüber ein. Aris Scheithauer verübt in ihrer Fantasie einen Mordversuch an Klaudia. Das ist das Genre von Klaus. Alpträume sind ihre Sache nicht, sie wacht auf, weil sie erschrocken ist und muss runter, sich waschen, weil sie geschwitzt hat bei diesem Traum.